Aktuell


Bras. Waldgesetz vom Senat beschlossen

Brasilien torpediert Klimaschutz

WWF: Neues Forstgesetz belastet Klima mit zusätzlichen 28 Milliarden Tonnen CO2

WWF Pressemitteilung, 7.12.11

Berlin - Der WWF reagiert mit Bestürzung auf die nächtliche Entscheidung des brasilianischen Senats, das geltende Waldschutzgesetz auszuhebeln. Damit bereitet die Kammer den Weg für die Zerstörung von 76,5 Millionen Hektar Regenwald, einer Fläche so groß wie Deutschland, Österreich und Italien zusammen. Der Senat votierte mit 59 zu 8 Stimmen für die Reform des Gesetzes. Nach offiziellen Angaben der brasilianischen Regierung würde die durch das neue Forstgesetz ermöglichte Zerstörung des Regenwaldes das Weltklima mit bis zu 28 Milliarden Tonnen CO2 zusätzlich aufheizen. Das entspräche etwa dem Treibhausgassaustoß von Deutschland in drei Jahrzehnten.

WWF-Vorstand Eberhard Brandes bezeichnete das Votum des brasilianischen Senats als „kurzsichtige Fehlentscheidung mit Folgen für die ganze Welt“. Brandes weiter:

„Brasilien torpediert mit dieser Entscheidung den weltweiten Wald- und Klimaschutz. Der brasilianische Senat ist vor der Agrarlobby eingeknickt. Die sozialen und wirtschaftlichen Kosten der Waldzerstörung wurden völlig ausgeblendet, ebenso wie die Folgen für das Weltklima. Damit hat Brasilien ein fatales Signal für viele andere Länder mit großen, schutzbedürftigen Waldflächen gegeben. Sechzig Prozent des Amazonas stehen auf brasilianischem Boden. Er hat aber Bedeutung für die ganze Welt. Eine solche Entscheidung ausgerechnet im UN-Jahr der Wälder und während der UN-Klimakonferenz zu fällen, zeugt eindeutig davon, dass hier wirtschaftliche Wachstumsraten vor Umweltschutz gehen.“

Der WWF ruft dazu auf, unter emergencycallbrasilien.de eine Protest-E-Mail direkt an die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff zu richten. Sie kann mit ihrem Einsatz die Rodung des Regenwaldes noch stoppen. „Jetzt ist die Zeit, sich direkt an die Präsidentin Dilma Rousseff zu wenden, die in wenigen Monaten Gastgeberin der großen Rio+20 Konferenz zu Umwelt und Nachhaltigkeit sein wird.“

Im Wahlkampf hatte sie zugesagt, keiner Amnestie für illegale Entwaldung zuzustimmen sowie keine Gesetze zu unterschreiben, die neue Entwaldungen ermöglichen. Damit entspräche die Präsidentin dem Wunsch der Mehrheit der Brasilianer: Einer repräsentativen Umfrage zufolge lehnen 85 Prozent der Brasilianer die Ausweitung von Nutzflächen auf Kosten des Regenwaldes ab.


Farce im brasilianischen Senat

Von Gerhard Dilger, taz-blog, 7.12.11

Die umstrittene Novelle des Waldgesetzes passiert den brasilianischen Senat. Nur acht Parlamentarier stimmen gegen den nun drohenden Kahlschlag. Umweltschützer appellieren weiterhin an Präsidentin Dilma Rousseff, denn die könnte noch ihr Veto einlegen.

Die Verabschiedung des neuen brasilianischen Waldgesetzes wird immer mehr zur Telenovela: Am späten Dienstagabend verabschiedete der Senat mit 59 zu acht Stimmen jene Reform, gegen die Brasiliens Umweltbewegung seit Monaten Sturm läuft. Damit wird die Zerstörung hochsensibler ökologischer Schutzgebiete im ganzen Land legalisiert. Nun muss das Abgeordentenhaus, das bereits im Mai eine noch radikalere Novelle zugunsten großer Farmer verabschiedet hatte, erneut abstimmen.

Vor der Unterzeichnung des Gesetzes hätte Präsidentin Dilma Rousseff allerdings noch die Möglichkeit, ihr Veto gegen umstrittene Passagen einzulegen. Im Wahlkampf 2010 hatte sie öffentlich gelobt, keinem Gesetz zuzustimmen, das eine Amnestie für Waldzerstörer enthalte – darauf pocht die Umweltbewegung. Denn genau dies zeichnet sich jetzt ab: Die Novelle sieht Straffreiheit für jene Landbesitzer vor, die bis Juli 2008 die gesetzlich vorgeschriebenen Schutzgebiete zerstört haben. Größere Grundstücke, im Amazonasgebiet fangen sie bei 440 Hektar an, müssen allerdings teilweise wiederaufgeforstet werden.

Um das Gesetz noch 2011 unter Dach und Fach zu bringen, hatte sich die Regierung mit den Agrariern bereits im Vorfeld geeinigt. Ausgerechnet Senator Jorge Viana von Rousseffs Arbeiterpartei PT, ein früherer Mitstreiter der Umweltikonen Chico Mendes und Marina Silva, koordinierte die Ausarbeitung der Senatsnovelle. Dank ihrer würden in den kommenden zwanzig Jahren je 20.000 Quadratkilometer wiederaufgeforstet, meint er.

Die PT hat sich mittlerweile nahezu vollständig der Agrarlobby unterworfen, nur Senator Lindberg Farias aus Rio scherte aus. Die Präsidentin schätzt die industrielle Landwirtschaft als Devisenbringer: Agrarprodukte, allen voran Soja und Rindfleisch, machen 37 Prozent der brasilianischen Exporte aus. Führende Vertreter des Agrobusiness wie “Sojakönig” Blairo Maggi oder Kátia Abreu vom Farmerverband CNA sitzen selbst im Senat.

“Wir haben die Diktatur der Umweltschützer beendet”, jubelte Abreu. 2010 hatten rund 50 Parlamentarier üppige Wahlkampfspenden von solchen Firmen erhalten, die von der künftigen Amnestie profitieren werden, berichtet die Tageszeitung Folha de São Paulo.

Während der Debatte handelten rechte Parlamentarier Dutzende zusätzliche Gesetzesänderungen aus. Ohne dass die meisten Senatoren wussten, worum es einzelnen ging, stimmten sie spätabends en bloc darüber ab. Selbst zwölf Stunden nach diesem Votum war immer noch unklar, was denn genau beschlossen worden ist. Auf der Webseite des Senats waren die Gesetzesänderungen immer noch nicht eingestellt.

Für die armen Urwaldbewohner und die Umwelt setzten sich vor allem die beiden Senatoren der linken Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL) ein. Randolfe Rodrigues (u. r., mit Jorge Viana) und Marinor Brito aus dem Amazonas-Bundesstaaten Amapá und Pará stimmten “im Namen all jener, die bei der Verteidigung des Urwalds ihr Leben gelassen haben” gegen das Gesetz.

Im vergleichsweise fortschrittlich regierten Amapá, das an Französisch-Guyana grenzt, droht nun die ganz legale Zerstörung von 8.000 Quadratkilometern Primärwald. Weil über 65 Prozent seiner Fläche aus Nationalparks und Indianergebieten besteht, sollen auf Privatarealen nur noch 50 Prozent geschützt werden. Im übrigen Amazonien bleibt es bei 80 Prozent. Höhepunkt des Absurden: Die drei Senatoren aus Amapá, die diese Bestimmung übereinstimmend streichen wollten, wurden von ihren Kollegen aus den anderen Bundesstaaten überstimmt.

Die Aufweichung des Waldgesetzes betrifft aber nicht nur den Regenwald im Amazonasgebiet. Im ganzen Land sollen Schutzgebiete an Flussufern zum Teil erheblich verringert und die landwirtschaftliche Nutzung an Berghängen und Kuppen ausgeweitet werden. Schon jetzt kommt es bei heftigen Regenfällen in dicht besiedelten Gebieten regelmäßig zu großen Erdrutschen mit zahlreichen Todesopfern.

Im Hinblick auf internationale Klimaverhandlungen hatte sich Brasilien vor zwei Jahren verpflichtet, bis 2020 die Abholzung des Amazonasgebietes um 80 Prozent zu verringern. Auch weil im kommenden Juni der UN-Umweltgipfel “Rio+20″ in Brasilien stattfindet, hoffen Umweltschützer nun auf das Veto der Präsidentin.




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