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Greenpeace und GfbV zu Brasilien

Augen auf den Amazonas

Der Regierungswechsel in Brasilien bringt viel Veränderung – aber nicht zum Guten. Greenpeace-Experte Oliver Salge erläutert die Folgen für Indigene und den Regenwald.

Von Michael Weiland, Greenpeace-Online, 21.3.19

Oliver Salge lebt seit vier Jahren in Brasilien, ist der internationale Kampagnenkoordinator für Greenpeace im Amazonas und leitet das Projekt „All Eyes on the Amazon“. In Zusammenarbeit mit anderen Nichtregierungsorganisationen und Indigenen wird darin die illegale Abholzung des Regenwaldes dokumentiert – und das hat rechtliche Konsequenzen für die Verursacher.

Wenn Salge über die Maßnahmen des brasilianischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro spricht, bleibt er nicht ruhig. Denn der im vergangenen Jahr gewählte Regierungschef schickt sich an, die Rechte der brasilianischen Ureinwohner empfindlich zu beschneiden – was brutale Landdiebe unmittelbar als Freibrief nahmen, in deren Land einzudringen und dort lebende Indigene bedrohen.

Der wirtschaftsfreundliche Kurs der brasilianischen Politik hat aber nicht nur Folgen für die eigene Bevölkerung. Wenn der Amazonas-Regenwald weiter abgeholzt wird, betrifft das die ganze Welt. Im Interview erklärt Waldexperte Salge, was in Brasilien gerade falsch läuft, was passieren müsste, damit das südamerikanische Land in Sachen Waldschutz wieder auf Kurs kommt – und inwiefern wir hier in Deutschland betroffen sind und was wir tun können, um die Ausbeutung zu stoppen.

Greenpeace: Die indigene Klimaschützerin Sonia Guajajara sagte bei der UN-Klimakonferenz in Kattowitz: „Die größte Gefahr für den Klimaschutz in Brasilien ist die brasilianische Regierung.“ Warum ist das so?

Oliver Salge: Die Regierung meint: Wenn sie Brasilien wirtschaftlich nach vorne bringen will, dann muss sie den Wald zu Geld machen. In der Konsequenz bedeutet das: Sie zerstört den Wald mit Rinderfarmen, Sojaanbau, Bergbau oder Goldminen. Dabei wird der Wert des Waldes für das regionale und globale Klima komplett ausgeblendet. Eine Welt mit einem weiter zerstörten brasilianischen Regenwald wird am 1,5-Grad-Ziel scheitern. Die Erde wird wärmer, mit allen Konsequenzen.

Welche Rolle spielen dabei die Indigenengebiete?

Die meisten dieser Gebiete sind in den vergangenen Jahrzehnten eingerichtet worden, manche schon früher. Aber gerade in dieser vergleichsweise kurzen Zeit hat sich gezeigt, dass diese Wälder besser geschützt wurden als andere Schutzgebiete. Wenn wir sie zum Beispiel mit Nationalparks vergleichen, die von Rinderfarmern oder der Bergbauindustrie mehr oder minder immer ignoriert wurden, garantierten die Indigenen für ihre Gebiete immer einen besonders wirksamen Schutz.

Die Idee hinter den Gebieten ist, die kulturelle Identität der Indigenen zu bewahren. Sie haben das Recht dort zu leben; sie fischen, sammeln, haben kleine Felder mit Maniok oder Bohnen und Mais. Aber sie dürfen dort keinerlei industrielle Wirtschaft betreiben. Das heißt, die Gebiete sind größtenteils frei von Rinderzucht, frei von Landwirtschaft, frei von Sojafeldern.

Warum sind die Gebiete jetzt in Gefahr?

Die Regierung will diese Regelung öffnen. Sie sagt: Das ist eine vertane wirtschaftliche Gelegenheit, denn die Indigenen produzieren ja nichts, was auf dem Weltmarkt verkauft werden kann. Darum will die Regierung den Indigenen jetzt das Recht geben, ihr Land zu verkaufen, zu verpachten oder zu bewirtschaften. Die Menschen selbst wollen das aber gar nicht. Die Aussicht darauf, dass die Verfassung zu Gunsten der Agrarwirtschaft geändert wird, hat in den letzten Monaten eine Welle der illegalen Landnahme in diversen Indigenengebieten ausgelöst, mitsamt Morddrohungen und Gewalt gegen die dort lebenden Gemeinschaften.

Mehr Rechte bedeuten in diesem Fall also nichts Gutes?

Unterm Strich wird den Indigenen dadurch das Recht auf kulturelle Selbstbestimmung genommen. So eine Öffnung würde nur bedeuten, dass kriminelle Machenschaften einen legalen Anstrich kriegen. So läuft das nämlich ab: Die Farmer dringen in das Land der Indigenen ein, und wenn die rechtmäßigen Eigentümer ihr Land nicht verkaufen wollen, droht man ihnen, sie zu erschießen. Auf dem Papier sieht das dann natürlich so aus, als hätten die Indigenen ihr Land freiwillig abgetreten. Das sind leider keine leeren Drohungen: Dass Menschen umgebracht werden, weil sie ihr Land nicht hergeben wollen, passiert in Brasilien häufig.

Diese Neuregelungen sind ja bislang nur in Planung. Hat sich die Lage der Indigenen nach der Wahl Bolsonaros bereits verschlechtert?

Sogar ganz massiv. Eigentlich ist es die Aufgabe der Regierung, Gebiete der Indigenen zu schützen, indem sie sie als Schutzgebiete ausweist und offiziell anerkennt. Das hat bislang die brasilianische Behörde für indigene Angelegenheiten gemacht, Funai. Diese Zuständigkeit hat Bolsonaro nach Amtsantritt per Erlass ans Landwirtschaftsministerium übertragen. Das Landwirtschaftsministerium setzt aber schon immer die Interessen der Großkonzerne und der Agrarlobby um. Die Indigenen sind da nur im Weg. Das Landwirtschaftsministerium, das die Interessen der Großgrundbesitzer vertritt, ist nun dafür zuständig, die Indigenen zu schützen – das klingt absurd, ist aber nun Realität in Brasilien!

Die Konsequenzen sehen wir jetzt. Mitte Januar sind Eindringlinge in das Gebiet der Karipuna eingefallen, haben dort Angst und Schrecken verbreitet und wertvolle Tropenhölzer aus dem Schutzgebiet gestohlen. Eine Woche vorher ist das Gleiche in einem anderen Gebiet von Indigenen passiert, dem Schutzgebiet der Uru Eu Wau Wau, ebenfalls im Bundesstaat Rondônia. Das sind keine Einzelfälle, die Liste kann man lange weiterführen. Wir erleben derzeit in Brasilien eine Welle der Gewalt gegen die eigene Bevölkerung. Und das lässt sich direkt auf den Regierungswechsel zurückführen. Diejenigen, die Land stehlen, die Indigene verprügeln und auch vor dem Töten nicht zurückschrecken, wissen: Von der aktuellen Regierung haben sie nichts zu befürchten, die steht hinter ihnen.

Die sozialen Folgen wiegen schwer, soviel ist klar. Welche Konsequenzen hat die Zerstörung des Waldes auf die Umwelt?

Im schlimmsten Fall bricht das Ökosystem Regenwald zusammen und wird zum Ökosystem Savanne, sagt die Wissenschaft. Ab einem bestimmten Punkt, wenn die Entwaldung besonders weit fortgeschritten ist, kann der Regenwald nicht mehr derart viel Wasser in die Atmosphäre abgeben, wie er es jetzt tut. Das ist aber wichtig für ganz Brasilien. Dieses Wasser bildet in der Luft sogenannte „fliegende Flüsse“, die sich über ganz Südamerika verbreiten. Man muss sich vorstellen: Der Amazonas-Regenwald ist rund 550 Millionen Hektar groß, da passt Deutschland ungefähr 26 Mal rein. Was dort an Wasser verdunstet, kommt in ganz Südamerika als Regen wieder herunter. Die Landwirtschaft in Südbrasilien, 3000 Kilometer entfernt, ist davon abhängig. Aber das scheint die Regierung nicht hören zu wollen, obwohl sie gleichzeitig verspricht, dass sie die Landwirtschaft schützt. Doch wenn man sie wirklich schützen will, dann muss man zuallererst den Amazonas schützen.

Auch für den Rest der Welt?

Wir alle, überall auf diesem Planeten sind betroffen. Wir brauchen den Regenwald als stabile Säule im hochkomplexen Klimasystem der Erde und um Kohlenstoffdioxid zu binden. Anders können wir den Kampf gegen den Klimawandel nicht gewinnen.

Wie kann Deutschland auf die brasilianische Regierung Druck ausüben, wenn so viel auf dem Spiel steht?

Auf dem politischen Weg kann die Bundesregierung Einfluss nehmen. Es ist nämlich keineswegs so, dass das Deutschland nichts anginge. Etliche Nationalparks und Schutzgebiete, die in Brasilien eingerichtet wurden, hat die Bundesregierung gemeinsam mit anderen Ländern mitfinanziert. Diese Errungenschaften will Bolsonaro vernichten. Das heißt, deutsches Steuergeld, das über Jahrzehnte nach Brasilien geflossen ist, droht gerade im Gulli zu landen. Ein Druckmittel, das die anderen Länder gegenüber Brasilien haben, ist die Wirtschaft. Deswegen ist Brasilien auch nicht aus dem Pariser Klimavertrag ausgestiegen, wie Bolsonaro noch im Wahlkampf ankündigte. Das würde den internationalen Handelspartnern nämlich überhaupt nicht gefallen.

Dann gibt es noch einen anderen Weg und der heißt ganz einfach: weniger Fleisch essen. Dabei geht es in erster Linie um Geflügel und Schweinefleisch, denn die Tiere werden mit Soja-Importen aus Südamerika gemästet. Für den Sojaanbau werden aber große Waldflächen zerstört. Das brasilianische Rindfleisch, das nach Deutschland exportiert wird, fällt ebenfalls, aber nicht ganz so schwer ins Gewicht.

Greenpeace arbeitet zusammen mit Indigenen und anderen Nichtregierungsorganisationen in dem Programm „All Eyes on the Amazon“. Ist diese Arbeit nach dem Regierungswechsel wichtiger geworden?

Ja, und sie ist schwieriger geworden. Der neue Umweltminister Ricardo Salles hat als eine seiner ersten Amtshandlungen die staatliche Zusammenarbeit mit allen Nichtregierungsorganisationen fuer 90 Tage aufgekündigt, außerdem hat die Regierung angekündigt, Nichtregierungsorganisationen jetzt überwachen zu lassen. Wenn es das Project „All Eyes on the Amazon“ nicht bereits gäbe, müssten wir es jetzt ins Leben rufen. Wir arbeiten mit indigenen Gemeinschaften wie den Karipuna im Bundesstaat Rondônia oder den Guajajara in Maranhao sowie anderen Nichtregierungsorganisationen zusammen, um die Abholzung im Regenwald zu dokumentieren und zur Anzeige zu bringen. Die indigenen Partner unterstützen wir bei der Analyse von Satellitenbildern und unternehmen Drohnenüberflüge, damit diese ihre Gebiete besser kontrollieren können. Ziel ist es, eine bessere Handhabe zu haben, gegen die illegale Abholzung rechtlich vorzugehen. Das ist wichtig und wird wichtig bleiben.


Medizinische Versorgung Indigener in Brasilien: „Alle vier Stunden droht ein Mensch zu sterben“

Das staatliche Gesundheitssystem für die Versorgung der indigenen Völker Brasiliens steht offenbar vor dem Aus. Menschenrechtler sind wegen der drohenden Katastrophe in größter Sorge. In einigen Gesundheitsbezirken fehlen schon jetzt die Mittel für die medizinische Grundversorgung, für manche Leistungen ist bereits seit Oktober 2018 kein Geld mehr geflossen. Aufgrund der Entfernung zu öffentlichen medizinischen Einrichtungen sind indigene Gemeinschaften besonders auf das bisherige System angewiesen. Nach der FUNAI droht mit der SESAI nun eine zweite wichtige Säule der Indigenenpolitik Brasiliens zerschlagen zu werden.

GfbV Pressemitteilung, 26.3.19

Die Brasilianische Regierung plant drastische Einschnitte in die medizinische Versorgung indigener Völker. Menschenrechtler sind wegen der drohenden Katastrophe in größter Sorge. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) fordert die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet auf, sofort bei der Regierung Bolsonaro zu intervenieren.

Das staatliche Gesundheitssystem für die Versorgung der indigenen Völker Brasiliens steht offenbar vor dem Aus. Die Menschenrechtsorganisation der Katholischen Bischofskonferenz Brasiliens CIMI (Conselho Indigenista Missionário) schlägt in einer Verlautbarung vom 22. März 2019 Alarm. Indigene Delegierte sowie Vertreter des Sonderbüros für indigene Gesundheit SESAI (Secretaria Especial de Saúde Indígena) berichteten vor wenigen Tagen in Brasilia, dass die Bundesregierung bereits seit Januar keine Gelder mehr an SESAI und andere Gesundheitszentren überweise.

Den Berichten zufolge fehlt in einigen der 34 Gesundheitsbezirke schon jetzt das Geld für die medizinische Grundversorgung und Arztbesuche bei indigenen Gemeinschaften. Für manche Leistungen sei laut CIMI bereits seit Oktober 2018 kein Geld mehr geflossen. „Bis Ende 2018 waren im Rahmen des Programmes Mais Médicos mehr als 8.000 kubanische Ärzte im Land tätig. Seit sie abgezogen wurden, fehlt gerade in armen und abgelegenen Gebieten medizinisches Fachpersonal“, kritisiert Yvonne Bangert, GfbV-Referentin für indigene Völker.

Der neuernannte Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta ist offener Kritiker indigener Rechte im Land. Ebenfalls am 20. März an kündigte er maßgebliche Änderungen innerhalb des Ministeriums an. Laut CIMI, einer Partnerorganisation der GfbV, sind das deutliche Anzeichen für ein baldiges Ende der SESAI. Das Ministerium bezeichnet die Einschnitte als Umstrukturierung der Gesundheitsleistungen für Indigene. Vorgeblich soll damit sichergestellt werden, dass sie optimierte Leistungen erhalten. Angeblich hätten SESAI und externe Gesundheitsdienstleister zudem Ressourcen missbraucht.

CIMI warnt vor unkalkulierbaren Gefahren für die Indigenen. Aufgrund der Entfernung zwischen indigenen Gemeinschaften und öffentlichen medizinischen Einrichtungen sei es unverantwortlich, Mittelflüsse kurzfristig einzustellen. Eine Alternative zum derzeitigen Gesundheitssystem gibt es laut SESAI nicht. Wenn die Arbeit aufgrund der Kürzungen zum Erliegen käme, wären Chaos und Todesfälle unvermeidbar: „Alle vier Stunden droht ein Mensch zu sterben“, heißt es von der SESAI.

Nach der FUNAI droht mit der SESAI nun eine zweite wichtige Säule der Indigenenpolitik Brasiliens zerschlagen zu werden. Grundrechten und Versorgungsstrukturen, die Indigene über Jahrzehnte erkämpft haben, entzieht die Regierung ohne Rücksicht auf zivile Opfer die Grundlage. Die GfbV unterstützt ausdrücklich die Apelle indigener Organisationen und ihrer Unterstützer an internationale Akteure, der Lage indigener Völker in Brasilien nicht tatenlos zuzuschauen.




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