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Interview mit Lutz Fähser

Forstwirtschaft: Nachhaltigkeit zahlt sich wirtschaftlich aus

Interview mit Forstdirektor i.R. Lutz Fähser, Teil 1

Von Marissa Erbrich, Greenpeace-Online, 13.2.12

Bei nachhaltiger Forstwirtschaft denken wohl die meisten Menschen gleich an ein ökologisches Konzept, das aus wirtschaftlicher Sicht nicht vertretbar ist. Diese Erfahrung macht auch Dr. Lutz Fähser bei Vorträgen immer wieder. Er hat 23 Jahre lang den Lübecker Stadtwald nachhaltig bewirtschaftet. Sein Motiv war ökonomischer Natur.

Online-Redaktion: Herr Fähser, Sie haben selbst lange Zeit einen Wald nachhaltig bewirtschaftet. Wie sieht eine solche Bewirtschaftung konkret aus?

Lutz Fähser: Der Begriff Nachhaltigkeit bedeutet, dass man einen Wald oder ein Ökosystem für immer in einer bestimmten Weise erhalten kann. Das Vorbild dazu sind Urwälder. Sie haben sich seit Millionen von Jahren selbst entwickelt und sind noch immer da. Und wenn man das überträgt auf das Wirtschaften, muss man ein paar Prinzipien einhalten. Die haben wir in Lübeck so entwickelt.

Das bedeutet erstens: Naturnähe. Dass man die Wälder möglichst naturnah gestaltet - in ihren Strukturen, in ihrer Dynamik und in ihren Funktionen. Möglichst dicht an der natürlichen Ausprägung, das ist für nachhaltige Bewirtschaftung die höchste Priorität.

Das zweite ist: Suffizienz . Wenn man erntet, muss man sich darauf beschränken, möglichst nur so viel zu ernten wie das natürliche System von sich aus leisten könnte. Dass man sich begnügt und das System nicht überfordert.

Und das dritte für den Wirtschafter selber: das Minimumprinzip. Das heißt, dass man alle Maßnahmen mit einem Minimum an Störungen, einem Minimum an Eingriffen realisiert.

Das sind die Oberbegriffe für nachhaltige Bewirtschaftung.

Online-Redaktion: Ist es überhaupt möglich, nachhaltige Forstwirtschaft mit ökonomischen Zielen zu vereinbaren?

Lutz Fähser: Ich habe mich zwei Jahre lang ganz speziell mit Betriebswirtschaft beschäftigt und darüber nachgedacht, warum die deutschen Forstbetriebe in großen Teilen so wenig rentabel sind. Im Prinzip bin ich zu dem Ergebnis gekommen: Die sind deswegen so wenig rentabel, weil sie so viel Kraft und Geld vergeuden, um gegen die natürlichen Systeme anzuarbeiten.

Im Wald wirtschaftet man in der sogenannten Urproduktion - dort, wo der Produktionsfaktor Natur die größte Rolle spielt. Waldwirtschaft ist nie rentabel, wenn man den Produktionsfaktor Natur nicht weitestgehend gewähren lässt. Denn der ist kostenlos, flexibel und passt sich an Schwierigkeiten an und bremst sie sozusagen aus.

Wenn man so viel reglementiert wie das die Forstleute immer noch tun, reduziert man die Kapazität dieses natürlichen Ökosystems. Der Wald ist eben ein unbekanntes System und man kann betriebswirtschaftlich eigentlich nur gewinnen, wenn man das System weitestgehend sich selbst überlässt.

Das bedeutet in betriebswirtschaftlichen Zahlen: Man reduziert die Kosten auf Anhieb um mindestens 50 Prozent gegenüber den üblichen Eingriffssystemen der deutschen Forstwirtschaft.

Sie haben auch ein viel geringeres Risiko, dass die Bäume kaputtgehen durch Borkenkäfer oder so. Wenn Sie den Wald so gestalten, wie ihn die Natur eigentlich an dieser Stelle gemacht hätte, haben Sie automatisch das geringste Risiko. Denn am Ende der natürlichen Entwicklung steht immer das System, das am wenigsten anfällig ist. Und wenn man sich dieses System als Vorbild nimmt, brennt es nicht in Ihren Wäldern und dann haben Sie auch keine Borkenkäfer. All das, was man immer so hört von der Forstwirtschaft, findet einfach nicht statt in einem naturnahen Laubmischwald, den wir hier in Deutschland von Natur aus hätten.

Das heißt, Sie haben geringe Kosten, geringes Risiko und eine hohe Produktivität, denn wenn Sie nicht stören, dann produziert der Apparat am besten. Das hat sich auch in etlichen Studien gezeigt, dass dieses Lübecker System den üblichen Waldwirtschaftssystemen in Deutschland deutlich ökonomisch überlegen ist. Etwa in dem Faktor 30 bis 40 Prozent.

Es kommen ja viele Leute hierher und sagen: Das ist toll, das ist faszinierend, was Sie hier machen, aber wissen Sie, wir müssen Geld verdienen mit unserem Wald. Und dann sage ich: Jetzt fange ich noch mal ganz von vorne an - das ist nämlich das Motiv von mir als Ökonom gewesen.

Online-Redaktion: Wie bewerten Sie den derzeitigen Umgang mit deutschen Wäldern?

Lutz Fähser: In, sagen wir mal, 80 Prozent der Wälder wird im Moment viel mehr Holz eingeschlagen als in den Jahren zuvor, weil es eine große Nachfrage gibt. Für Deutschland haben wir genug Holz, aber etwa der ganze asiatische Raum importiert sehr stark. Und die Nachfrage nach Energie über Holz ist drastisch gestiegen - direktes Kaminholz, aber auch für Pellets. Deswegen schlagen die Waldbesitzer jetzt zum Teil genauso viel wie nachwächst und zum Teil vorübergehend auch mehr.

Dazu kommt noch die Klimadebatte. Wald kann Klima beeinflussen, indem es zum Beispiel CO2 aus der Atmosphäre absorbiert und in die Stämme, in den Humus und in den Boden einbaut. Und CO2 ist ein wichtiges Klimagas, was man reduzieren muss.

Wir importieren jetzt auch ganz viele Bäume aus der ganzen Welt, die hitzeresistent sind und schneller wachsen. Damit entfernen sie sich immer mehr von dem Wald, der sich hier von Natur aus einfinden würde.

Sie merken an dieser Aufzählung - Energienachfrage, Export in boomende Wirtschaftsregionen, Klimawandel, andere Baumarten - wir sind in Deutschland in einem unglaublich gefährlichen Wandel. Weg von unseren eigenen natürlichen Systemen, die das alles ganz gut könnten - hin zu einem Kunstsystem, wieder in Richtung Plantagen und nicht-heimische Baumarten. Wir sind in einer schwierigen Situation im Moment.

Deswegen reagiert Greenpeace auch richtigerweise mit diesem Buchenwaldkonzept und sagt: Wir müssen das Auge wieder auf die heimischen angepassten Ökosysteme lenken, das ist unsere Verpflichtung.

Online-Redaktion: Es gibt ja tatsächlich noch alte Laubwälder in Deutschland, beispielsweise im Spessart. Welchen Stellenwert räumen Sie diesen Wäldern ein?

Lutz Fähser: Alte Laubwälder sind ja fast ein Synonym für naturnahe Wälder. Laubwälder und Laubmischwälder sind eigentlich das, was von Natur aus vorgeherrscht hätte. Und die letzten, die noch da sind, sind eine ganz wichtige Insel von genetischer Information und Rettungsinseln für diejenigen Tier- und Pflanzenarten, die von Natur aus hier waren. Die brauchen wir, wenn wir wieder naturnahe, stabile, risikoarme Wälder aufbauen. Sie sind eine Art Arche Noah. Sie geben uns Hinweise auf das Funktionieren von solchen Wäldern.

Wenn Bäume und Wälder sehr alt sind, steckt in diesem Alter ein großer Eigenwert. Vor allem Tiere, wie Käfer, sind darauf angewiesen, dass die Systeme sehr alt sind und dass sie sich lange in so einem System aufhalten können. Käfer beispielsweise, sind häufig nicht sehr mobil. Weil ursprünglich überall Wald war, hatten sie es gar nicht nötig, weit zu fliegen oder weit zu krabbeln.

Deswegen sind also erstens Laubwälder und zweitens alte Laubwälder, in denen solche Nischen sind - absterbende Bäume, Höhlen, ganz lange Akkumulationen von Natur - extrem wichtig, um wirklich die typische angepasste Waldnatur in all seinen Facetten weiter leben zu lassen.

Es ist ganz wichtig, dass man diese kleinen Inseln jetzt wirklich schützt. Erstmal ganz, so lange bis die Staatsforstverwaltung oder die sonstigen Forstverwaltungen ein verantwortbares Konzept vorlegen, wie man diese Wälder behutsam erhält oder auch weiter bewirtschaftet.


"Ein Förster ist im Wald und Umweltschützer haben da nichts zu suchen"

Interview mit Forstdirektor i.R. Lutz Fähser, Teil 2

Von Marissa Erbrich, Greenpeace-Online, 14.2.12

Als Lutz Fähser 1994 sein Konzept für den Lübecker Stadtwald vorstellte und Greenpeace das auch noch gut fand, ging ein Aufschrei durch die Institutionen. Nachhaltiges Wirtschaften im Wald? Undenkbar.

Online-Redaktion: Mussten Sie Hürden überwinden, als Sie den Ihnen unterstellten Wald nachhaltig bewirtschaften wollten? Gab es Widerstand?

Lutz Fähser: Das kann man wohl sagen. Das ist ja in allen unseren menschlichen Systemen so: Wenn einer etwas anders macht als vorher, dann ist er Pionier und dann gibt es Widerstand.

In den staatlichen Forstverwaltungen, also Landesforsten, Bundesforsten: Die haben das natürlich als Provokation empfunden, vor allem wenn das dann so eine kleine Stadt macht. Dazu kommt: Als wir dieses Konzept 1994 in einer Pressekonferenz in Lübeck öffentlich vorstellten, hat Greenpeace mit uns zusammen diese Pressekonferenz gemacht. Weil Greenpeace sagte, dieses Konzept, was ihr da vorstellt, das können wir eins zu eins für Greenpeace übernehmen.

Die Pressekonferenz hat in den Institutionen wie eine Bombe eingeschlagen. Und das war der Widerstand, der dann auch anhielt, denn ein Förster verbündet sich nicht mit den Umweltschützern. Ein Förster ist im Wald und Umweltschützer haben da nichts zu suchen.

Bei den forstlichen Fakultäten: Die haben aufgeschrien und gesagt, das könne überhaupt nicht funktionieren. Nach dem Motto: Wenn man möglichst wenig eingreift und die Natur lässt, ist ja unsere ganze Lehre umsonst und wir Menschen sind doch besser als Natur. Das hält fast bis heute an.

Bei den Großgrundbesitzern: Das sind in der Regel Adlige mit großen Wäldern. Die hatten Angst, dass man ihnen mit so einer ökologischen Bewirtschaftung und auch so einer Öffnung zu den Umweltverbänden auf die Finger guckt. Man muss ja schließlich als Besitzer so viel rausholen können, wie man will.

Bei den Naturschutzbehörden in Lübeck: Weil unser Konzept kein Artenschutzkonzept ist, sondern auf die natürliche Dynamik setzt - da kann es auch passieren, dass eine Orchidee vorübergehend verschwindet und an anderer Stelle wiederkommt. Das dauerte lange, weil in den Naturschutzbehörden bis heute viele Artenschützer sitzen.

In der Politik: Da gab es Widerstand von den Grünen, und zwar wegen der Jagd. Das System beinhaltet, dass wir intensiv jagen, weil wir in deutschen Wäldern, auch in Lübeck, ungefähr eine zehnmal höhere Wilddichte von Rehen und Hirschen haben als es in einem Naturwald der Fall wäre. Diese Tiere fressen die Samen, wenn sich neue Pflanzen ansiedeln wollen, radikal auf. Wenn die Jugend immer wieder weggefressen wird, klappt dieses System nicht. Wir konnten den Grünen durch Exkursionen zeigen, dass die Jagd das ganze System verbessert und dass die Tiere, die dann in dem System leben, es viel besser haben als vorher.

Bei den Waldbesuchern: Die waren am Anfang entsetzt. Wir haben totes Holz liegenlassen, haben Bäume stehen lassen, die besonders alt waren, besonders skurril und halb abgestorben. Die Waldbesucher fanden das schrecklich. Es dauerte ein paar Jahre - mit Exkursionen und durch Zeigen, welche Funktion totes Holz hat. Heute ist es umgekehrt. Heute sind die Lübecker stolz auf diese Wildnis, auf dieses Besondere.

Online-Redaktion: Was hat Ihnen bei der Entwicklung Ihres Waldes persönlich am besten gefallen und was hat Sie überrascht?

Lutz Fähser: Eins der Motive, warum ich mich so einem Konzept gewidmet habe, ist das Bewusstsein, dass Wald ein so unübersichtliches superkomplexes Ökosystem ist, dass wir als Menschen es nie verstehen werden. Gerade wenn man Wälder nicht mehr so reglementiert, dann stellt man plötzlich fest, dass es ein anderer Wald wird. Das ist toll, ein Wald, der ganz differenziert ist und viel schlauer als das, was wir als Förster gemacht haben. Es ist ein sehr lebendiger Wald, der dauernd reagiert.

Auf Forstamtseite hat mir gefallen, dass das Konzept, wie wir uns das gedacht haben, auch wirklich sehr gut funktioniert. Es gab wahnsinnige Kritiken, die sagten, das kann nicht klappen, das ist keine Qualität in solchen Wäldern. Jetzt, nach ungefähr 20 Jahren mit vielen Inventuren und wissenschaftlicher Begleitung, stellen wir fest, es funktioniert fantastisch. Eigentlich besser als wir dachten.

Unsere Tier- und Pflanzenarten haben sich explosionsartig vermehrt. Zum Beispiel der Schwarzspecht hat sich verdoppelt bis verdreifacht in diesen 20 Jahren. Typische Waldarten, die sich in einem ungestörten Wald ansiedeln, haben sich hier zuhauf eingefunden, aber auch scheue Vögel, wie Schwarzstorch oder Seeadler sind gekommen.

Außerdem gefällt mir, dass die Menschen jetzt die Wildnis im Wald suchen und nicht die Ordnung. Dass sie kapiert haben, Wald ist etwas ganz Eigenständiges und es ist viel spannender, einen wilden Wald zu erleben und überrascht zu werden. Die Erholungswirkung hat sich verstärkt.

Hier kann man einfach besichtigen, wie es sich entwickelt, wenn man den Rio-Gedanken betreibt, mit Agenda 21 und Biodiversitätskonvention. Das Schöne daran ist, dass wir als Förster von Umweltverbänden jetzt als Kooperateure angesehen werden - das ist genau das, was der deutsche Wald braucht. Die Förster sind eigentlich für das Ökosystem da und erst wenn der Baum ab ist, dann kommen die Holzwirte und die Kaufleute. Wir sind für den lebenden Teil zuständig. Die Kooperation mit den Umweltverbänden bringt auch sehr viel Wissen aus der Umweltszene in den Wald.

Mir gefällt auch, dass wir international fast bekannter sind als national. Ich bin in viele Länder eingeladen worden, um den Menschen diese Ideen zu erläutern. Es freut mich, dass man international, von außen sozusagen, die Qualität so eines Konzeptes etwas weniger voreingenommen erkennt.

Online-Redaktion: Herr Fähser, vielen Dank für das Gespräch!




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