AktuellInterviews zu Buchenwäldern
Auch im Wald: Die Natur Natur sein lassenVon Sara Westerhaus, Greenpeace-Online, 30.4.12Dr. Hans Bibelriether ist Forstwissenschaftler und ehemaliger Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald, der sich unter seiner Leitung zu einem international herausragenden und bekannten Großschutzgebiet entwickelte. Im Interview erklärt er, was ein naturbelassener Wald einem Wirtschaftswald voraus hat. Hier ein Auszug. Redaktion: "Natur Natur sein lassen" lautet die Philosophie im Nationalpark Bayerischer Wald. Was steckt dahinter? Hans Bibelriether: Wir haben uns in den 70er und 80er Jahren in anderen Ländern und Kontinenten umgesehen. Es wurde deutlich, dass sich die Natur, und das ist inzwischen international geregelt, in Nationalparken nach ihren eigenen Gesetzen entwickeln soll. Ende der 80er Jahre habe ich dieses Ziel in den Satz "Natur Natur sein lassen", zusammengefasst. Redaktion: Wie unterscheiden sich Wälder, in denen nachhaltige Nutzung stattfindet, von denen, die sich selbst überlassen sind? Hans Bibelriether: Wirtschaftswälder sind gleichaltriger und jünger als Naturwälder, Totholz ist kaum vorhanden und der Waldboden wird großflächig durch Großmaschineneinsatz massiv geschädigt. Naturwälder sind artenreicher, standortsangepasster, differenzierter und stabiler. Das Problem ist, dass durch die Forstwirtschaft die Wälder in den letzten 200 Jahren so verändert wurden, dass sie sehr anfällig gegen Klimaänderungen, gegen Sturmwürfe, Schneebruch oder Schädlingsbefall geworden sind. Die heutigen Wälder, auch wenn das von den Forst- und Holzorganisationen ständig behauptet wird, haben nicht mehr die Stabilität von natürlichen Wäldern. Redaktion: Wäre es nicht möglich, Mischwälder gezielt so anzulegen, dass sie dem Klimawandel standhalten können? Hans Bibelriether: Theoretisch ja, in der Praxis kaum, denn ob die Bäume, die gepflanzt werden, in 100 Jahren dem veränderten Klimaverhältnissen standhalten, weiß niemand. Man sollte die Waldverjüngung so weit wie möglich der Natur überlassen. Die Natur kann die Anpassung besser. Ich habe das einmal so formuliert: Windwurf, Schneebruch und Borkenkäfer sind Methoden der Natur, aus instabilen Försterforsten stabile Naturwälder zu machen. Redaktion: Greenpeace fordert, 10 Prozent der öffentlichen Wälder vollständig aus der Nutzung zu nehmen, wie es auch die Nationale Biodiversitätsstrategie vorsieht. Wie ist Ihre Meinung dazu? Hans Bibelriether: Diesen Beschluss der Regierung finde ich richtig! Er wird nur noch nicht umgesetzt. Stattdessen soll der Holzeinschlag um 30 Millionen Kubikmeter pro Jahr in Deutschland erhöht werden. Das geht in die falsche Richtung. Redaktion: In Ihrem eben erschienenen Artikel Außer Spesen nichts gewesen! Deprimierende Bilanz zum Internationalen Jahr der Wälder! sprechen Sie davon, dass die Öffentlichkeit belogen wird. Was meinen Sie damit? Hans Bibelriether: Es wird von Forstfunktionären behauptet, dass der naturnahe Wirtschaftswald alle Funktionen, wie den Schutz der höchsten Artenvielfalt und den besten Beitrag zum Klimaschutz, erfüllt. Das ist nicht der Fall. Ließe man Naturwälder wachsen, würden sie mindestens doppelt so viel Holzvorräte anreichern wie Wirtschaftsforste, in denen die Bäume spätestens im Alter von 100 bis 130 Jahren gefällt werden. In Naturwäldern werden die Bäume 400 bis 600 Jahre alt. Das Durchschnittsalter in deutschen Wäldern liegt derzeit bei 77 Jahren. Redaktion: Auch bezüglich der Bayerischen Staatsforsten und der Bayerischen Landespolitik bezüglich der öffentlichen Bürgerwälder halten Sie sich mit Kritik nicht zurück. Was ist Ihre zentrale Kritik? Hans Bibelriether: Es wird ständig behauptet, dass naturnah gewirtschaftet wird, aber Tatsache ist, und das hat Greenpeace ja auch im Spessart festgestellt, dass Buchen gefällt und stattdessen Douglasien gepflanzt werden. Es darf nicht generell um ein Entweder-oder gehen, also überall naturnahe Forstwirtschaft zu betreiben und keine Naturwälder zuzulassen, sondern es geht um ein Sowohl-als auch. Naturwälder sollten auf ein paar Prozent der Landesfläche zugelassen werden. Auf über 90 Prozent der Fläche sollen naturnahe Wirtschaftswälder gepflegt werden, die Holz produzieren. Der Wald - Warenlager, Lebensraum, ErholungsortVon Sara Westerhaus, Greenpeace-Online, 23.4.12Welche unterschiedlichen Interessen treffen im Wald aufeinander? Wie haben sich die Diskussionen um die Bewirtschaftung der öffentlichen Wälder in den letzten Jahren entwickelt? Ein Interview mit dem Forstwissenschaftler Dr. Georg Winkel (Teil 1). Georg Winkel arbeitet als Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Forst- und Umweltpolitik in Freiburg. Redaktion: Sie habilitieren zum Thema Waldpolitik. Was verstehen Sie unter dem Begriff und was macht für Sie diesen Bereich so interessant? Georg Winkel: In der Waldpolitik werden im Spiegel der Interessen Entscheidungen zu Wäldern getroffen. Wälder unterliegen den gleichen gesellschaftlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen wie alle anderen Ressourcen auch. Allerdings gibt es auch Besonderheiten, so sind ökologische Prozesse in Wäldern besonders langfristig, und niemand würde sich beispielsweise in einem Kohlekraftwerk erholen oder ein Maisfeld unter Naturschutz stellen. All das geschieht aber im Wald, und genau dies macht die wissenschaftliche Beschäftigung mit Waldpolitik so spannend. Redaktion: Welche unterschiedlichen Interessen am Wald gibt es und wie lassen sich diese in Einklang bringen? Georg Winkel: Wälder sind Produktionsstätte und Warenlager für die Holzwirtschaft. Sie sind der wichtigste Lebensraum für unendlich viele Tiere und Pflanzenarten. Sie sind naturnaher Erholungsort. Sie sind prägend für viele Landschaften. Sie sind zugleich kulturell bedeutsam - denken Sie etwa an die deutschen Märchen und Sagen. Bezogen auf die Waldpolitik stehen hinter all diesen Bedeutungszuweisungen politische Überzeugungen und Interessen. Und um es vorweg zu sagen: Gänzlich in Einklang bringen lassen sich all diese Überzeugungen und Interessen nicht. Das Schöne an der Waldwirtschaft ist aber, dass sich vieles im Wald integrieren lässt, wenn man gewisse Abstriche an den jeweiligen Maximalanforderungen in Kauf nimmt. Die Gretchenfrage in der Waldpolitik ist dann, wie und welche Entscheidungen getroffen werden und welches Interesse auf welcher Waldfläche letztlich bevorzugt wird. Redaktion: Wie hat sich die Diskussion um die richtige Art der Bewirtschaftung unserer Wälder in den letzten Jahrzehnten - Stichwort Klimawandel - verändert? Georg Winkel: Nutzungskonflikte um Wälder gibt es schon lange. Die Rahmenbedingungen, unter denen die heutige Debatte geführt wird, haben sich jedoch verändert. Auf der ökonomischen Seite hat sich der Holzwirtschaftssektor markant gewandelt. Wenige große Abnehmer prägen den deutschen Holzmarkt und stehen im europäischen und globalen Wettbewerb zueinander. Die Holzerntetechnologie hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert. Auf der ökologischen Seite ist in den letzten Jahrzehnten viel Wissen zu Tieren und Pflanzen in den Wäldern neu entstanden. Mit dem Slogan Erhaltung der Biodiversität verbinden sich Anforderungen an die Waldwirtschaft, die zum Teil durchaus konträr zu den geschilderten ökonomischen Anforderungen stehen. Und auf der sozialen Seite steht eine pluralistische, urbane Bevölkerung, die den Wald als letzten ungestörten Naturraum schützen will, aber auch das heimische Holz wertschätzt. Der Klimawandel spielt dabei eine interessante Rolle. Einerseits hängt er wie ein Damoklesschwert über allen Entwürfen für eine künftige Waldpolitik. Sollte er nämlich in vollem Umfang wie prognostiziert eintreffen, dürfte er die heimischen Wälder signifikant verändern. Andererseits jedoch entfaltet der Klimawandel bislang vor allem Wirkung als Legitimation für ganz unterschiedliche Vorstellungen von Schutz und Nutzung der Wälder, einschließlich dahinter stehenden Interessen. So geht es in der waldpolitischen Debatte oft gar nicht so sehr um den Klimawandel und den Klimaschutz, sondern dieser wird als Argument genutzt, um entweder mehr Holzeinschlag zu legitimieren oder mehr Naturschutz zu fordern. Aus meiner Sicht sollte man jedoch den Kern der Sache, nämlich die Frage, wie sich Naturschutz und nachhaltige Nutzung bzw. ökonomische Interessen am Wald integrieren lassen, diskutieren und hier zu tragfähigen Lösungen kommen. Redaktion: Was unterscheidet aus Ihrer Sicht den öffentlichen Wald vom Privatwald in unserer Gesellschaft? Georg Winkel: Eigentümer des öffentlichen Waldes sind alle Bürger eines Landes, vertreten durch die staatlichen Institutionen. Damit gehen besondere gesetzliche Bestimmungen einher, namentlich die schon genannte besondere Gemeinwohlbindung des öffentlichen Waldes. Diese besondere Rolle des öffentlichen Waldes wird seit langem kontrovers diskutiert. In einem viel beachteten, aber politisch letztlich wenig wirksam gewordenen Urteil hat das Bundesverfassungsgericht vor über 20 Jahren sogar einen Vorrang der Umwelt und Erholungsfunktion im öffentlichen Wald konstatiert. "Die Bürger sind die Shareholder des Staatswaldes"Von Sara Westerhaus, Greenpeace-Online, 27.4.12Warum ist Datentransparenz beim öffentlichen Wald von Vorteil? Wie kann eine Beteiligung der Bürger an Schutzkonzepten gelingen? Fortsetzung des Interviews mit dem Forstwissenschaftler Dr. Georg Winkel. Redaktion: Der Vorstand der Bayerischen Staatsforsten (BaySF) weigert sich, konkrete Daten über den Zustand des öffentlichen Waldes herauszugeben. Wie beurteilen Sie die Aussagekraft der Daten, die bisher im Statistikband von den BaySF gemacht wurden? Georg Winkel: Diese Angaben der Bayerischen Staatsforsten sind in ihrer groben Auflösung nicht ausreichend, um die Entwicklung der alten Laubwälder im Spessart beurteilen zu können. Die Nichtherausgabe von differenzierteren Daten zur Staatswaldbewirtschaftung durch die Bayerischen Staatsforsten bzw. die bayerische Politik ist leider auch kein Einzelfall im Konflikt mit Greenpeace. Auch ein wissenschaftlicher Projektverbund unter Beteiligung von Kollegen von unserer Fakultät und der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt, der versuchen will, einen Überblick zum tatsächlichen Stand geschützter Wälder in Deutschland zu erarbeiten, erhält aus Bayern keine brauchbaren Daten. Dies halte ich für sehr schade, denn so kann die Diskussion um Schutz und Nutzen der Wälder nicht transparent geführt werden, und es wird im konkreten Fall zur persönlichen Glaubensfrage, ob ich Greenpeace oder den Bayerischen Staatsforsten in ihrer Darstellung der Waldwirtschaft im Spessart folge. Redaktion: Warum ist Transparenz bei diesen Daten überhaupt so wichtig? Georg Winkel: Aus meiner Sicht kommt der Schaffung von maximal möglicher Transparenz bei der Bewirtschaftung des öffentlichen Waldes zentrale politische Bedeutung zu, ganz unbenommen von rechtlichen Ansprüchen aller Bürger auf Umweltinformationen, die im Zweifelsfall die Gerichte klären müssen. Maximal mögliche Transparenz würde bedeuten, dass Daten zu allen wesentlichen Bedürfnissen der Bürger am Staatswald regional differenziert verfügbar gemacht werden. Das kann für den Spessart konkret heißen, dass folgende Fragen beantwortet werden: Wie wird sich der Anteil an alten Laubwäldern im Spessart in den nächsten 10, 20 oder 50 Jahren bei unterschiedlichen Nutzungsvarianten voraussichtlich entwickeln? Sind Ängste bezüglich eines Rückgangs alter Laubwälder berechtigt? Es ist kein Hexenwerk, solche Daten darzustellen oder zu generieren, und auf dieser Basis ließe sich die Debatte viel fundierter führen als zum jetzigen Zeitpunkt, wo man letztlich als Außenstehender nur mutmaßen kann, was im Spessart tatsächlich passiert oder passieren könnte. Redaktion: Greenpeace fordert, die Daten über die alten Buchenwälder öffentlich zugänglich zu machen und die Bürger an den Konzepten zum Schutz dieser Wälder zu beteiligen. Welche Gründe sprechen aus Ihrer Sicht dafür? Georg Winkel: Erstens sind die Bürger die Shareholder des Staatswaldes. Natürlich werden ihre Interessen in der parlamentarischen Demokratie durch Parlament und gewählte Regierung vertreten. Wir wissen aber auch, dass bei einem eher kleinen Politikfeld wie der Waldpolitik parlamentarische Entscheidungen oft nur sehr generellen Charakter haben, Beteiligungsverfahren würden hier eine gute Ergänzung bilden, zumal zur Konkretisierung des gesetzlichen Gemeinwohlauftrages. Zum Zweiten haben sich die Bevölkerung beziehungsweise deren Bedürfnisse am Wald verändert und sind vielfältiger geworden, und der beste Weg, dem gerecht zu werden, ist direkte Beteiligung. Zum Dritten schafft Beteiligung Legitimation und Planungssicherheit. Ist die forstliche Planung unter direktem Einbezug der Bevölkerung gemacht worden, kann sie dann eigentlich von niemandem mehr angegriffen werden. Redaktion: Gibt es auch Argumente gegen eine Bürgerbeteiligung? Georg Winkel: Da ist zunächst mal die Frage, wie sich solche Verfahren mit der Idee vertragen, die öffentlichen Wälder als möglichst rentable Unternehmen zu führen. Ein Beispiel: Bürgerbeteiligung birgt das Risiko, dass die Bevölkerung etwas anderes vom Wald will als das, was die Unternehmensführung antizipiert hat und in Rahmenverträgen mit großen Holzabnehmern vereinbart hat. Auch entsteht ein höherer Aufwand durch Beteiligungsverfahren. Forstpraktiker argumentieren zudem, dass die Beteiligung von Laien, die in der Regel nicht über fundiertes Wissen zu Waldökosystemen verfügen, nicht zu besseren Entscheidungen und Planungen führen dürfte. Es geht bei Beteiligung der Bürger allerdings nicht darum, die Experten von der Notwendigkeit des Entscheidens auf Basis ihres Wissens zu entbinden. Es geht eher darum, ihnen eine neue Rolle als Kommunikator ihres Wissens und als Anwalt und Übersetzer der Präferenzen der Bürger am Wald zu geben. Redaktion: Wie kann eine möglichst effiziente Beteiligung gestaltet werden? Georg Winkel: Das ist in der Tat ein Knackpunkt, und bevor man hier loslegt, macht es Sinn, sich mit den bestehenden Erfahrungen aus vielen anderen Ländern vertraut zu machen. Eine Beteiligung könnte beispielsweise folgende Elemente beinhalten:
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