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Rettungsplan für Steigerwald

Rettungsplan für Weltnaturerbe Steigerwald

Bayerns Naturerbe sichern: Naturschutzverbände und Bürgerverein präsentieren Fünf-Punkte-Rettungsplan

WWF Pressemitteilung, 8.10.15

Die drei großen Naturschutzverbände BUND Naturschutz in Bayern (BN), Landesbund für Vogelschutz (LBV) und WWF Deutschland sowie der Bürgerverein Nationalpark Nordsteigerwald haben am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in München einen Fünf-Punkte-Rettungsplan für eine glaubwürdige und aussichtsreiche Weltnaturerbe-Bewerbung für den Steigerwald vorgelegt. Damit soll kurzfristig sichergestellt werden, dass eine derartige Bewerbung überhaupt noch möglich bleibt. Gleichzeitig bekräftigen die Organisationen ihre Forderung nach einem Nationalpark Steigerwald. In einer gemeinsamen Erklärung kritisiert das Bündnis die Staatsregierung für ihre Blockadehaltung beim Waldschutz im Steigerwald scharf. Die Aufhebung des geschützten Landschaftsbestandteiles bei Ebrach sei ein skandalöser "Raubbau am ökologischen Erbe Bayerns", mit dem die Staatsregierung den Einschlag dicker Altbäume im großen Stil ermöglichen will, die noch zu tausenden im vormaligen Schutzgebiet vorkommen. Gefordert werden die Wiedereinrichtung des Schutzgebietes, ein umgehender Stopp des Holzeinschlages in den naturschutzfachlich wertvollen Waldbereichen und die Ausweisung eines mindestens 5.000 Hektar umfassenden Schutzgebietes ohne Holznutzung auf Staatswaldflächen. Nur dann können sich großflächig "Urwälder von morgen" mit Baumriesen entwickeln, wie sie im Steigerwald bislang nur in kleinsten Waldschutzgebieten bewundert werden können. Weiterhin fordert das Bündnis eine Potentialanalyse für alle Schutzoptionen im Steigerwald.

Für Diana Pretzell, Leiterin Naturschutz Deutschland beim WWF sind die Erhaltung von historischen Kulturgütern und großen Waldschutzgebieten keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Pretzell befürchtet, dass nun versucht wird, die mittelfristige Option auf ein mögliches Weltnaturerbe im Steigerwald mit einer "aufgesetzten" Weltkulturerbe-Bewerbung zu verhindern. Damit würde nicht nur die Steigerwaldregion beschädigt, sondern auch die Weltkulturerbe-Bewerbung selbst aussichtslos. "Der Steigerwald hat Strahlkraft und einen einzigartigen Natur-Wert weit über die Grenzen des Freistaats hinaus. Wenn die Staatsregierung diese einmalige Chance verspielt, schädigt sie nicht nur das ökologische und kulturelle Erbe, sondern beraubt der Region auch ihrer hervorragenden wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten", verdeutlicht Pretzell.

Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND Naturschutz in Bayern, fordert einen umgehenden Stopp des Holzeinschlags auf einer zusammenhängenden Staatswaldfläche von mindestens 5.000 Hektar, um die in den Wäldern noch vorhandene Substanz für eine Naturwaldentwicklung zu sichern. "Diese mindestens 5.000 Hektar große Staatswaldfläche im Nordsteigerwald muss konsequent geschützt werden, weil dies eine entscheidende Voraussetzung für eine Weltnaturerbe-Bewerbung ist", so Weiger.

Helmut Beran, stellvertretender Geschäftsführer des Landesbundes für Vogelschutz: "Wir kritisieren die ersatzlose Aufhebung des geschützten Landschaftsbestandteiles und fordern einen strengen Schutz der ökologisch wertvollen Buchenbestände im Steigerwald, auf ausreichend großer Fläche, ohne forstwirtschaftliche Nutzung". Beran verweist darauf, dass große, ungenutzte Waldbereiche als Referenzflächen benötigt werden, um Prozesse kennenzulernen, die auf solchen Flächen ablaufen. Von BN und LBV wurde bereits Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gegen die Aufhebung des Schutzgebietes im Ebracher Forst eingereicht.

Martin Mößlein vom Verein Nationalpark Nordsteigerwald arbeitet als Schreiner in Steigerwald-Weinort Handthal und freut sich, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger aus dem Steigerwald den Nationalparkverein unterstützen. "Wir wünschen uns als Bevölkerung im Steigerwald, dass der Wald besser geschützt wird", so Mößlein. "Von einem Nationalpark würde die strukturschwache Region auch wirtschaftlich deutlich profitieren, was bei den Forstkonzepten nicht der Fall ist. Wir fordern deshalb, dass die Staatsregierung mit einer Potentialanalyse alle Schutzgebietsoptionen für den Steigerwald prüft", erläutert Mößlein.Die Bayerische Landesregierung solle sich zur Weltnaturerbe-Eignung der Region bekennen und der Erreichung dieses Titels endlich Vorrang einräumen. Ein großes Schutzgebiet ohne Holznutzung ist Voraussetzung für eine Weltnaturerbe-Bewerbung.

Die Vertreter der Verbände sehen hier einen Nationalpark als das geeignetste Instrument. Einig sind sich die Naturschutzverbände, dass das Trittsteinkonzept des Ebracher Forstbetriebes zwar ein sinnvolles Modell für den Wirtschaftswald ist, jedoch den großflächigen Schutz von Waldbereichen ohne Nutzung keinesfalls ersetzen kann. Deshalb solle das Konzept in allen staatlichen Wirtschaftswäldern in Bayern umgesetzt werden.


„Eine wilde Anderswelt“

„Die Schutzbestimmungen für Urwälder sind zu schwach“, sagt Matthias Schickhofer, Autor und Experte für Waldschutz. Warum wir Europas Waldwildnis retten müssen, erzählt er im Interview.

Greenpeace-Online, 8.10.15

Urwald gleich Amazonas? Nicht unbedingt. Auch bei uns gibt es Urwälder: Ökosysteme, die kaum durch menschlichen Eingriff verändert wurden. Vor 6000 Jahren bedeckten solche Wälder 95 Prozent Mitteleuropas. Doch nur wenig ist geblieben von der europäischen Waldwildnis. Dabei brauchen wir diese Wälder – vor allem auch, um den Klimawandel einzudämmen.

Mehr Schutz für Europas Urwälder fordert deshalb Matthias Schickhofer, Fotojournalist, Umweltschützer bei Greenpeace und Autor („Unser Urwald – Die letzten wilden Wälder im Herzen Europas“, Brandstätter Verlag). Wie es um die wilden Wälder Europas bestellt und was nötig ist für ihren Schutz, erzählt er im Interview.

Greenpeace: Wo haben Sie in Europa die beeindruckendsten Urwälder gesehen?

Matthias Schickhofer: Die großartigsten Wälder Mitteleuropas stehen sicher in den östlichen Karpaten in Rumänien und der Ukraine sowie in den Dinarischen Gebirgen in Kroatien. Da habe ich wahre Waldmeere gesehen, geschlossene Baumdecken bis zum Horizont – eine archaische Anderswelt. Viele Menschen wissen ja gar nicht, dass es auch auf unserem Kontinent noch solche fantastischen Urwälder gibt.

Vor allem Rumänien hat noch große Urwaldgebiete. Fast zwei Drittel aller Urwälder Europas stehen dort, Russland nicht eingeschlossen. Besonders faszinierend ist der Semenic-Nationalpark im Südwesten des Landes mit seinem 5000 Hektar großen Buchenurwald. Aber an dessen Rand und rundherum werden wertvolle Bäume gefällt; Raubbau und Korruption zerstören die Wälder mit großer Geschwindigkeit.

Aus diesen Gründen gibt es in Europa kaum noch Urwälder. Wie steht es also um den Schutz unserer verbliebenen Waldwildnis? Gehen wir in Europa verantwortungslos mit unserem Naturerbe um?

Nur mehr vier Tausendstel der mitteleuropäischen Wälder sind laut Experten heute noch in einem urwaldähnlichen Zustand. Anders gesagt: Wir Europäer haben „unseren Amazonas“ in den vergangenen 1000 bis 2000 Jahren bis auf vergleichsweise winzige Reste eliminiert. Daher sind unsere letzten Urwälder auch so wertvoll.

Doch leider sind viele von ihnen noch immer nicht ausreichend geschützt. Es gibt zwar heute in Deutschland, Österreich, Kroatien, der Slowakei, Montenegro und der Ukraine tolle Nationalparks mit strengen Schutzbestimmungen; in Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden außerdem hunderte Naturwaldreservate geschaffen. Aber die alten Wälder sind unter Druck. In Österreich ist das Naturwaldreservate-Netzwerk aktuell in Gefahr, wegen Budgetkürzungen Löcher zu bekommen: Das reiche Österreich kann sich die Kosten von etwa einer Million Euro pro Jahr angeblich nicht mehr leisten und will auf EU-Förderungen umstellen.

Rumäniens Nationalparks haben diese Löcher schon: Da klaffen Kahlschläge in wertvollsten Altwäldern, etwa im Domogled Nationalpark in den Südkarpaten. Der soll demnächst UNESCO-Welterbe werden. Doch jetzt werden noch schnell auf Teufel komm raus unberührte Urwaldtäler verwüstet. Ich habe diese Gebiete häufig besucht – die Zerstörungen zu sehen ist sehr deprimierend. Hier sind mehr internationale Proteste nötig.

Sollte das Schutzprogramm Natura 2000 der Europäischen Union derartige Zerstörung denn nicht verhindern?

Natura 2000 hat das lobenswerte Ziel, seltene Arten und Lebensräume zu schützen. Aber die Schutzbestimmungen für Urwälder sind zu schwach. In wertvollsten Wäldern in Natura-2000-Gebieten wird gerodet; mitunter werden Naturwälder sogar noch immer durch Nadelholzplantagen ersetzt. Das darf nicht sein. Industrie-Interessensverbände attackieren aktuell europäische Schutzgesetze wie Natura 2000 und wollen diese noch mehr aufweichen. Und sie bekämpfen neue Schutzgebietsprojekte. Das ist inakzeptabel.

Deshalb brauchen Natura-2000-Gebiete dringend strengere Bestimmungen. Grundbesitzer müssen besser informiert und betreut werden; wir brauchen bedeutend mehr Kontrolle und mehr Geld für Abgeltungen privater Grundbesitzer. Denn auch unsere natürlichen Wälder sind systemrelevant, nicht nur Pleitebanken.

Welches sind die größten Bedrohungen für unsere europäischen Urwälder?

Die größte Bedrohung ist die Gier in Verbindung mit Rücksichtslosigkeit und Ignoranz. Ein Teil der Forstindustrie ist scheinbar noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen: Da wird noch immer auf Kahlschlag, Nadelbaumaufforstung und Altersklassenwald gesetzt, also auf gleichaltrige Bestände, in denen alle Bäume etwa gleich groß sind.

Ein Problem ist auch der Biomasseboom. In Osteeuropa beflügelt das subventionierte Verheizen von Holz den illegalen Einschlag und die Zerstörung alter Wälder. Im Westen werden Wälder teilweise regelrecht „ausgeräumt“, weil jetzt auch minderwertiges Holz für Energieproduktion verkauft werden kann. Das ist schlecht für Böden und Artenvielfalt.

In Rumänien wüten kriminelle Netzwerke im Urwald. Da wird mit allen Tricks gearbeitet: gefälschte Zahlen in Forstinventuren, gefälschte Herkunftspapiere, Besitzurkunden oder Registriernummern von Baumstämmen. Auch Parteien und Politiker sollen sich angeblich über illegales Holz mit Schwarzgeld eindecken. In den Karpaten der West-Ukraine haben mafiöse Machenschaften nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen auch bereits eingesetzt. Da stehen noch etwa 100.000 Hektar Urwald, darunter die größten Rotbuchurwälder der Erde.

Auch in Deutschland wurden ehemalige Buchenurwälder zu großen Teilen in Fichten- und Kiefernplantagen umgewandelt. Allenfalls winzige Urwaldreste sind geblieben. Brauchen wir hierzulande wieder mehr Waldwildnis?

Ja, unbedingt. Gerade reiche Länder wie Deutschland oder Österreich sollten mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, wie ökologisch nachhaltiger Umgang mit den Waldressourcen aussehen könnte. Dazu gehört: Artenvielfalt und Kohlenstoff-Lager in den wertvollen Natur- und Urwäldern durch ein Netzwerk aus Reservaten bewahren, den restlichen Wald möglichst an den natürlichen Prozessen orientiert bewirtschaften. Die Urwälder sind hier die besten Lehrmeister – wenn man sie versteht.




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