Aktuell


Rückblick 2010

Haifisch, Tiger & Co: Gewinner und Verlierer 2010

Menschenverursachtes Artensterben schreitet auch 2010 ungebremst voran. Grund zur Hoffnung: Staatengemeinschaft setzt sich ehrgeizige Ziele

WWF Pressemitteilung, 28.12.10

Frankfurt - Der WWF zieht unter Artenschutzgesichtspunkten eine durchwachsene Jahresbilanz. Zwar hielt das massive, vom Menschen verursachte Artensterben auch 2010 weiter an, doch immerhin hat die UN-Konferenz zum Erhalt der biologischen Vielfalt (CBD) im Oktober dieses Jahres Blockaden für den internationalen Naturschutz aus dem Weg geräumt. „Wir sind auf der UN-Konferenz einen wichtigen Schritt vorangekommen. Es sind ehrgeizige Ziele formuliert worden“, erklärt Eberhard Brandes, Vorstand des WWF Deutschland, anlässlich des anstehenden Jahreswechsels. So sollen vermehrt Schutzgebiete an Land und auf hoher See ausgewiesen werden. Außerdem hat man sich darauf geeinigt, Subventionen, die eine Verringerung der Artenvielfalt zur Folge haben bis 2020 abzubauen, zu reformieren oder zu beenden. „Biodiversität ist ein Wirtschaftsfaktor und deren Erhalt wird immer mehr zu einem Garant für langfristigen, ökonomischen Erfolg“, sagte Brandes. „Unternehmen erkennen in zunehmendem Maße, dass eine intakte biologische Vielfalt ökonomische Leistung erbringt. Das ist ein erster, wichtiger Schritt in die richtige Richtung.“ Hauptursachen für den anhaltenden Verlust biologischer Vielfalt weltweit sind Lebensraumzerstörung, Klimawandel, Wilderei und Übernutzung. Die von Menschen verursachte Aussterberate liegt laut WWF mindestens hundertmal höher als der natürliche Artenschwund. Und während sich etwa die Lage von Nashorn, Hai oder Schuppentier 2010 weiter verschlechtert hat, können Tierarten wie Tiger, Wolf und Dorsch immerhin optimistischer in die Zukunft blicken.

Die Verlierer 2010

Nashorn

Allein bis September 2010 hat Südafrika nach WWF-Angaben mehr als 230 Nashörner durch Wilderei verloren. Damit wird in dem Land durchschnittlich alle 30 Stunden ein Breit- oder Spitzmaulnashorn getötet. Nur in den 1970er Jahren habe die Wilderei ein ähnlich erschreckendes Ausmaß erreicht. „Die Hörner gehen vor allem nach Asien, wo sie in geriebener Form als dubiose Heilmittel eingesetzt werden“, sagt WWF-Artenschutzexperte Stefan Ziegler. Dementsprechend ist auch die Lage der asiatischen Nashörner extrem kritisch. So wurde im April im vietnamesischen Cat Tien Nationalpark ein totes Java-Nashorn entdeckt. Das Tier wurde vermutlich von Wilderern erschossen. Es ist anzunehmen, dass damit das letzte Java-Nashorn in Vietnam getötet wurde.

Hai, Tunfisch und Koralle

Keine internationalen Handelsverbote für Rote Koralle, Blauflossentunfisch und diverse Hai-Arten. Die Politik hätte auf der Artenschutzkonferenz in Doha im März 2010 die Gelegenheit gehabt, die Artenvielfalt der Meere besser zu schützen, doch die Anträge wurden allesamt abgelehnt. So darf der Blauflossenthunfisch weiterhin als Sushi-Delikatesse auf dem japanischen Markt enden – obwohl die Population um bis zu 85 Prozent eingebrochen ist. Ähnlich dramatisch die Situation von Weißspitzen-Hochseehai und Hammerhai: Die Flossen dieser Fische landen noch immer in der Suppenschüssel. Die Rote Koralle wird weiterhin Bestandteile von Medizin- und Schmuckprodukten sein.

Schuppentier

Die Summe der gewilderten Schuppentiere in Asien binnen eines Jahres dürfte in die hunderttausende gehen, befürchtet der WWF. Nach einem im Oktober 2010 veröffentlichten Report wurden allein für ein einziges Schmuggler-Syndikat auf der Insel Borneo rund 22.000 Schuppentiere gewildert. Da es unzählige solcher Artenschmuggler gibt, sei die Dunkelziffer auch um ein vielfaches höher. Aus den Bestandteilen des Schuppentiers (auch Pangolin genannt) werden dubiose Heilmittel hergestellt. Die Population könne der maßlosen Gier durch kriminelle Syndikate auf Dauer nicht standhalten, so der WWF.

Wale

Das Jahr 2010 brachte erneut keinen Konsens in Sachen Walfang und -schutz. Die Verhandlungen über einen Kompromissvorschlag zum Fang auf Großwalarten bei der Jahrestagung der Internationalen Walfangkommission (IWC) im Juni führten zu keinem Ergebnis. „Ein Kompromiss, der den bestehenden Walfang unter die Kontrolle durch die IWC stellt, wäre klar vonnöten gewesen“ sagte Volker Homes, Leiter WWF-Artenschutz. „Bedrohte Arten wie Finn- und Seiwal bleiben trotz Moratorium weiter auf der Abschussliste der Walfangnation Japan.“

Die Gewinner 2010:

Tiger

Nach WWF-Schätzungen leben weltweit nur noch rund 3.200 Tiger in freier Wildbahn. Der Druck durch Wilderei und Lebensraumzerstörung auf die Art ist unvermindert hoch, doch nach dem „Jahr des Tigers 2010“ kann die Großkatze hoffnungsvoller in die Zukunft blicken. Vertreter aller dreizehn Tiger-Verbreitungsstaaten haben sich nämlich auf dem Tiger-Gipfel im November zu einem globalen Tiger-Rettungsplan bekannt. Auch auf das Ziel, die Bestandszahlen des Tigers bis 2022 zu verdoppeln, konnten sich die Politiker verständigen. Der WWF sprach von einem „historischen Moment für den Artenschutz“, mahnte zugleich „schnelle und konkrete Taten“ an. Geberländer wie Deutschland und die USA, aber auch Institutionen wie die Weltbank, Privatpersonen wie Hollywoodstar Leonardo DiCaprio und Organisationen wie der WWF haben bereits finanzielle Zusagen getätigt. In der Amur-Region, wo sich der WWF seit 1993 gemeinsam mit seinen Partnern engagiert, sind die Bestandszahlen des Tigers seit vielen Jahren stabil. Nach Schätzungen durchstreifen dort rund 450 Exemplare die Wälder.

Wolf

Die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland schreitet auch 2010 weiter voran. Im Sommer gelangen in der Lübtheener Heide dank einer WWF-Fotofalle Aufnahmen eines vermutlich männlichen Tieres. Und auch Bayern hat wieder einen Wolf. Seit mehreren Monaten durchstreift ein Rüde das österreichisch-bayerische Grenzgebiet. „Der Wolf besiedelt trotz mancher Rückschläge seine alte Heimat wieder“, freut sich WWF-Experte Janosch Arnold. Deutschlandweit gibt es nach Schätzung des WWF zwischen 60 und 75 Wölfe. Ein Großteil davon lebt in der sächsischen Lausitz. Aber auch aus anderen Regionen, wie Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, werden immer wieder Sichtungen gemeldet.

Dorsch

Innerhalb von nur drei Jahren ist der östliche Bestand des Dorsches in der Ostsee auf das Dreifache angewachsen. Die Gründe für die erfreuliche Entwicklung seien ein wirkungsvoller Wiederaufbauplan, eine Verkleinerung der Fangflotte sowie eine konsequente Eindämmung der illegalen Fischerei. Der positive Trend zeige, so der WWF, dass sich Fischbestände unter günstigen ökologischen Bedingungen und einem nachhaltigen Management wieder erholen können. Um diesen Erfolgstrend auch langfristig zu sichern, fordert der WWF die strikte Einhaltung des EU-Wiederaufbauplans auch für das kommende Jahr. „Die Fischereiminister müssen trotz der guten Prognosen für den Dorsch auch in den kommenden Jahren die Fangquoten mit Bedacht festlegen und den wissenschaftlichen Empfehlungen folgen“ fordert Karoline Schacht, Fischereiexpertin des WWF.


Umweltpolitischer Rückblick

Von Stefan Krug, Greenpeace-Online, 29.12.10

Es hilft nichts: umweltpolitisch war 2010 ein Jahr der Enttäuschungen, mit nur sehr wenigen Lichtblicken. Auf fast allen Gebieten der Umweltpolitik herrscht in Deutschland derzeit Stillstand oder Rückschritt, und international sieht es bis auf wenige Ausnahmen nicht besser aus.

2010 war das Jahr der größten Ölkatastrophe der Geschichte, doch die Förderung von Erdöl aus der Tiefsee geht in rasendem Tempo weiter. 2010 war auch das Jahr der größten energiepolitischen Fehlentscheidung der schwarz-gelben Bundesregierung: die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke. Und es war ein weiteres verlorenes Jahr für den internationalen Klimaschutz, trotz eines Achtungserfolges der Klimakonferenz von Cancun.

Klimawandel, Artensterben, Waldverlust, Überfischung, industrielle Landwirtschaft, Verkehrslawine: nirgendwo konnte 2010 ein echter Durchbruch erzielt werden, stattdessen wächst der Problemberg immer weiter.

Atomkraft

Das dominierende Thema aus deutscher Sicht war sicher die Atomkraft, geprägt durch die Fehlentscheidung der Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP, die Laufzeiten der 17 deutschen Atomkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre zu verlängern.

Ohne Not, auf Druck der vier großen Energiekonzerne, beendete die Bundesregierung den Atomausstieg, für den Deutschland weltweit respektiert wurde. Die Laufzeitverlängerung bildete den Kern des im Herbst mit viel Rhethorik verabschiedeten neuen Energiekonzeptes der schwarz-gelben Bundesregierung. Und dieser Kern ist so faul, dass er das ganze Konzept diskreditiert.

Denn längere Laufzeiten gefährden nicht nur die Sicherheit der Bevölkerung durch den Weiterbetrieb alter, unsicherer Atommeiler und den fehlenden Schutz gegenüber Terrorangriffen. Sie vergrößern nicht nur die Menge an Atommüll, von dem niemand weiß, wo und wie er sicher für Jahrtausende gelagert werden kann.

Längere Laufzeiten diskreditieren das Energiekonzept der Bundesregierung vor allem, weil sie den Ausbau von erneuerbaren Energien und hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen behindern, denn unflexible Großkraftwerke und flexible Erneuerbare stehen in einem Systemkonflikt. Für beide Stromquellen ist zudem nicht ausreichend Platz im Stromnetz.

Doch die Ratschläge der eigenen Studien und Fachleute wurden von Bundeskanzlerin Merkel in den Wind geschlagen, weil dieses Milliardengeschenk an die Energiekonzerne von der Bundesregierung politisch gewollt und längst verabredet war. Die Mehrheit der Bundesbürger war und ist gegen diese Laufzeitverlängerung. Doch auch das interessierte Bundeskanzlerin Merkel und ihren Umweltminister nicht.

Die Art und Weise, in der die Kanzlerin einseitig Politik für die Energiekonzerne machte, war beschämend. Vor allem aber enttäuschte Umweltminister Röttgen, der wider besseren Wissens handelte und beim Showdown im Herbst nicht den Mut hatte, die unbequeme Wahrheit offensiv zu verteidigen. Wer wie diese Bundesregierung den Aufbruch in ein neues Zeitalter dadurch angeht, dass er alte, hoch gefährliche Techniken verlängert und Monopole großer Konzerne verfestigt, ist einfach nur unglaubwürdig.

Damit aber nicht genug: im Oktober 2010 nahm die Bundesregierung die Erkundung des Salzstocks Gorleben wieder auf, obwohl seine Nichteignung als Endlager offenkundig ist. Tausende von Gorleben-Akten hatte Greenpeace 2010 prüfen lassen, und die Aktenbelege zusammen mit neuen Studien zeigten, dass die Wahl des Standortes Gorleben von Anfang an politisch motiviert war und Gorleben als Endlager geologisch ungeeignet ist.

Statt diese Einwände ernst zu nehmen und neue Transporte mit Atommüll bei denjenigen Kraftwerken zu lagern, die den Müll erzeugt haben, boxte die Bundesregierung im November einen weiteren Castor-Transport nach Gorleben durch. Statt einer ergebnisoffenen, bundesweiten Standortprüfung werden so in Gorleben weiter Fakten geschaffen.

Klimaschutz

Wer hoffte, energiepolitisch wenigstens auf dem Gebiet des Klimaschutzes Fortschritte zu sehen, auf dem sich Angela Merkel so gerne als "Klimakanzlerin" präsentiert, wurde enttäuscht: für die Kanzlerin hatte das Thema nach dem Debakel bei der Klimakonferenz von Kopenhagen Ende 2009 keine Priorität mehr. Die Bundesregierung schrieb das ehrgeizige deutsche Klimaziel (40 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990) zwar im Energiekonzept fest, aber was nutzen die schönsten Ziele, wenn nicht danach gehandelt wird?

Auch 2010 gruben in Ostdeutschland die Schaufelradbagger ganze Landschaften von unten nach oben um für die Gewinnung von Braunkohle, dem klimaschädlichsten Energieträger überhaupt. Ohne eine grundlegende Änderung ihrer Kohlepolitik wird die Bundesregierung das 40-Prozent-Ziel nicht erreichen. Daran können auch die wenigen guten, wenn auch unausgereiften Maßnahmen des Energiekonzeptes etwa zur Gebäudesanierung oder Energieeffizienz nichts ändern.

Auch auf internationaler Ebene war beim Klimaschutz 2010 von einer "Führungsrolle" Deutschlands nichts zu sehen. Während die EU-Kommission vorrechnete, dass ein höheres Klimaziel für die EU - 30 Prozent weniger CO2 bis 2020 gegenüber 1990 - nicht nur leichter erreichbar, sondern auch deutlich billiger ist als geplant, zeigte sich die Bundesregierung das ganze Jahr über zerstritten.

Während Umweltminister Röttgen (CDU) schon im Frühjahr öffentlich für das höhere Ziel eintrat, tat Wirtschaftsminister Brüderle von der FDP das Gegenteil und forderte allen Ernstes eine "Pause" beim Klimaschutz. Dabei wurde er kräftig unterstützt von Hardlinern innerhalb der deutschen Industrie, die kein Interesse an teureren Emissionszertifikaten haben.

De facto würgten die Deutschen so in Brüssel die 30-Prozent-Diskussion ab, nachdem ohnehin schon Länder wie Polen und Italien ein höheres Klimaziel ablehnen. So bot die EU am Jahresende bei der Klimakonferenz im mexikanischen Cancun ein ähnlich zerstrittenes und blasses Bild wie ein Jahr zuvor beim Debakel von Kopenhagen.

Erdöl

Ähnlich entäuschend sieht das Bild in anderen Bereichen der Umweltpolitik aus. Nach der Explosion der Ölbohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko forderte EU-Kommissar Oettinger ein Moratorium für Ölbohrungen in der Tiefsee für EU-Gewässer, bis sicher gestellt sei, dass solche Unglücke im EU-Raum ausgeschlossen werden können. Später und zögerlicher schloß sich der deutsche Umweltminister dieser Forderung an.

Greenpeace machte durch Aktionen in Berlin und Brüssel Druck auf die Politik. Doch der Antrag, der dann von Deutschland bei der Konferenz der Anrainerstaaten von Nordsee und Nordostatlantik (OSPAR) im Herbst eingebracht wurde, sah kein Moratorium mehr vor. Wieder hatte das Bundeswirtschaftsministerium auf Drängen der Industrie die Position der Bundesregierung verwässert.

Bis Mitte 2011 müssen nun die vorhandenen Sicherheitsmaßnahmen von Ölbohrungen in der Tiefsee zumindest überprüft und dokumentiert werden, bevor die nächste OSPAR-Konferenz über weitere Maßnahmen entscheidet.

Agrarpolitik

Atomkraftwerke, Klimawandel und Ölkatastrophen - die Energie- und Klimapolitik dominierte auch 2010 die Umweltpolitik, und andere, nicht weniger wichtige Bereiche fanden zu wenig Beachtung. So setzte die Bundesregierung In der Agrarpolitik ihren industriefreundlichen Kurs unbeirrt fort.

Vergebens sucht man 2010 Maßnahmen gegen die umweltschädigenden Folgen der industriellen Landwirtschaft, ihre hohen Treibhausgasemissionen, die Belastung der Böden und Gewässer mit Chemikalien, das fortgesetzte Artensterben auf dem Lande, den Umbruch von Grünland, die Eröffnung immer größerer Tiermastfabriken oder gegen den massenhaften Anbau von Mais zur Energieerzeugung.

Stattdessen wurden die Mittel für das Bundesprogramm Ökolandbau nicht nur weiter auf einem lächerlich geringen Niveau gehalten, sondern auch für nicht-ökologische, umweltschädliche Maßnahmen geöffnet. Und es wurde weiter versucht, den Anbau genmanipulierter Pflanzen zu fördern. Im August eilte Wirtschaftsminister Brüderle persönlich zur Ernte der ersten genmanipulierten Kartoffel der Firma BASF, der Amflora.

Doch kurz nach dem schönen Fototermin musste BASF einräumen, dass sie die Gen-Knolle nicht im Griff haben: in Schweden wurden konventionelle und genmanipulierte Kartoffelernten vermischt. Zumindest ließ der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern daraufhin die Ernte beschlagnahmen. Greenpeace hatte zuvor die Kartoffelsorten Henriette und Eliane präsentiert, die nicht genmanipuliert sind, aber genauso soviel Stärke produzieren wie die Amflora.

Bisher sind die Gentechnik-Konzerne jeden Beweis schuldig geblieben, dass genmanipulierte Pflanzen ungefährlich sind, dass sie kontrolliert werden können oder dass sie auch nur das Geringste zur Minderung des Welthungers beitragen können. Trotzdem wird diese Propaganda von der Bundesregierung hartnäckig mitgetragen, zuletzt in einer Rede der Kanzlerin im Dezember 2010.

Auch 2010 wurde das mangelhafte Zulassungsverfahren für Genpflanzen auf EU-Ebene nicht reformiert, wie es der EU-Umweltrat schon 2008 gefordert hatte. Stattdessen will die EU es nun den Mitgliedsstaaten überlassen, nationale Anbauverbote zu erlassen, was jedoch die Mängel bei der Sicherheitsprüfung auf EU-Ebene nicht löst.

Ermutigend war, dass das Bundesverfassungsgericht im November eindeutig urteilte, dass die strengen deutschen Regeln zum Anbau von genveränderten Pflanzen verfassungskonform und gerechtfertigt sind.

Verkehrspolitik

Fehlanzeige auch im Verkehrsbereich: alles, was der Bundesregierung beim Thema Auto zum Umweltschutz einfiel, ist und bleibt das Elektroauto. Eine Million Strom-Fahrzeuge sollen bis 2020 auf deutschen Straßen rollen - von dann insgesamt rund 50 Millionen Autos. Für die Erreichung des Klimaziels 2020 werden diese Autos also schon rein zahlenmäßig keine Rolle spielen. Vor allem aber bringen Elektro-Autos dem Klimaschutz nichts, wenn sie mit klimaschädlichem Kohlestrom aus dem Netz betankt werden.

Andere, weniger attraktive, dafür aber umso wirkungsvollere Maßnahmen ignorierte die Regierung, etwa den Abbau der Subventionierung von PS-starken Dienstwagen mit hohem Verbrauch. Auch in diesem Jahr dürften wieder rund 70 Prozent der Neufahrzeuge als Dienstwagen zugelassen worden sein, unabhängig wieviel CO2 sie in die Luft blasen.

Und dies ist nur eine der rund 50 Milliarden Euro teuren umweltschädlichen Subventionen, die in Deutschland jährlich vom Steuerzahler finanziert werden.

Einziger Lichtblick: im Herbst beschloss die Bundesregierung, die klimaschädlichste Art der Fortbewegung, das Fliegen, mit einer - leider zu geringen - Ticketsteuer zu belegen.

Die Umweltbilanz des Jahres 2010 fällt also mehr als bescheiden aus. Und gering ist bisher auch die Hoffnung, dass sich der industrielastige, umweltschädliche Kurs der Bundesregierung in 2011 spürbar ändert.


BUND-Bilanz und Ausblick

2010 Höhepunkt der Anti-Atom-Proteste. 2011 steht Agrarreform an: Großdemonstration am 22. Januar in Berlin

BUND Pressemitteilung, 27.12.10

Berlin: "2010 war nicht das Jahr des so genannten Wutbürgers. Es war ein Jahr demokratischer und phantasievoller Bürgerproteste gegen Fehlentscheidungen wie die Aufkündigung des Atomausstiegs oder die Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs unter die Erde." Dieses Fazit zieht Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in einer Rückschau auf das Jahr 2010. Für 2011 erwartet er zwei Hauptthemen, an denen der BUND arbeiten wird: "Die Europäische Union steht 2011 in der Agrar- und Klimapolitik vor entscheidenden Weichenstellungen. Die Verteilung von fast 60 Milliarden Euro Agrarsubventionen muss neu geregelt und das Klimaschutzziel von minus 20 Prozent CO2 muss auf minus 40 Prozent erhöht werden."

Die Anhebung der Ziele zur CO2-Minderung für alle Staaten der Europäischen Union sei ebenso dringend erforderlich wie eine stärker an Umwelt- und Tierschutz orientierte Landwirtschaft. Bei beiden Themen komme der Bundesregierung eine Schlüsselrolle zu. Verweigere sie sich ambitionierten Klimaschutzzielen und blockiere sie die anstehenden Agrarreformen, werde sie ihrer Verantwortung für eine zukunftsfähige Wirtschaftsweise nicht gerecht.

"Positive Trends im Natur- und Umweltschutz gingen 2010 leider nicht auf das Konto der schwarz-gelben Bundesregierung. Der isländische Vulkan Eyjafjallajökull und die Wirtschaftskrise haben mehr zur Reduzierung der globalen Treibhausgase beigetragen als die Umweltpolitik von Kanzlerin Angela Merkel und Umweltminister Norbert Röttgen. In Deutschland sind die CO2-Emissionen im letzten Jahr sogar um etwa 30 Millionen Tonnen gestiegen", sagte Weiger. Die zu starke Abhängigkeit der Industriestaaten von fossilen Rohstoffen habe auch die Explosion der Ölbohrinsel "deep water horizon" und die anschließende Ölkatastrophe im Golf von Mexiko deutlich gemacht.

"Weder die Bundesregierung noch die deutsche Wirtschaft haben die nötigen Lehren aus den Umweltdebatten der vergangenen Jahre gezogen. Strengere Vorgaben zur Verbrauchsminderung für Autohersteller wurden blockiert, Straßen und Autobahnen übertriebenen Verkehrsprognosen hinterher geplant, umweltfreundliche Verkehrsmittel wie die Bahn vernachlässigt und mit Laufzeitverlängerungs-Geschenken an Atomstromkonzerne der Ausbau der erneuerbaren Energien behindert. Federführend in rückwärtsgewandter Umweltpolitik ist meist das von FDP-Politiker Rainer Brüderle geleitete Bundeswirtschaftsministerium", sagte Weiger.

2010 habe die schwarz-gelbe Bundesregierung mit der neuen Abgabe auf Atom-Brennstäbe und der Luftverkehrssteuer erste Schritte beim Abbau umweltschädlicher Subventionen getan. Diese Maßnahmen seien jedoch allein der klammen Haushaltslage geschuldet gewesen. Zu den Erfolgen des Jahres 2010 gehöre, dass das Bundesverfassungsgericht die gentechnikfreie Landwirtschaft geschützt habe, indem es die strengen Regeln zum Schutz vor Verunreinigungen von Äckern mit Gentech-Pflanzen bestätigte.

International habe es 2010 ebenfalls einige Erfolge gegeben. Weiger: "Im UN-Jahr der Biodiversität hat sich die Weltgemeinschaft in Japan auf den Abbau umweltschädlicher Subventionen bis 2020 verständigt und Anfang Dezember wurde im mexikanischen Cancun der UN-Prozess für ein globales Klimaschutzabkommen vor dem Scheitern bewahrt. Trotzdem kommt der Klimaschutz nur schleppend voran. Wenn die Industriestaaten nicht endlich mit verbindlichen und strengeren CO2-Minderungszielen aufs Tempo drücken, werden sich Zahl und Ausmaß der vom Menschen verursachten Klimakatastrophen leider noch erhöhen."

Weiger hob hervor, dass es 2010 eine Renaissance der Anti-Atom-Bewegung gegeben habe. Hunderttausende seien für eine zukunftsfähige Energieversorgung ohne Atomkraft auf die Straße gegangen. Für 2011 kündigte der BUND-Vorsitzende neue Demonstrationen an: "Wir werden den erstarkten Bürgerprotest gegen die fragwürdigen Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke, gegen Prestigeprojekte wie `Stuttgart 21` und gegen eine verfehlte Agrarpolitik auch im kommenden Jahr auf die Straße tragen. Schon am 22. Januar veranstalten wir anlässlich der Grünen Woche in Berlin gemeinsam mit einem breiten Bündnis von Umwelt-, Agrar- und Tierschutzverbänden eine große Kundgebung für Gentechnikfreiheit und Agrarreformen. Und wenn sich im April die Tschernobyl-Katastrophe zum 25. Mal jährt, werden wir deutschlandweit zu Protesten gegen die schwarz-gelbe Atompolitik aufrufen."


NABU ehrt RWE-Chef Jürgen Großmann mit „Dinosaurier des Jahres 2010”

Tschimpke: Atomkraftwerksbetreiber bremst bei Erneuerbaren und Klimaschutz

NABU Pressemitteilung, 29.12.10

Berlin - Der NABU hat RWE-Chef Jürgen Großmann mit dem „Dinosaurier 2010“ - Deutschlands peinlichstem Umweltpreis - ausgezeichnet. Der Vorstandsvorsitzende des Essener Stromkonzerns erhält die Trophäe für die Aufkündigung des Atomkonsenses in Deutschland. „Mit seiner hemmungslosen und provozierenden Beeinflussung der Bundesregierung für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, die im Spätsommer in einer von ihm initiierten Anzeigenkampagne gipfelte, hat sich Herr Großmann den Preis in diesem Jahr redlich verdient“, sagte NABU-Präsident Olaf Tschimpke. Jürgen Großmann stehe damit in direkter Tradition des ehemaligen RWE-Bosses Harry Roels, der bereits 2006 für den Antrag auf Laufzeitverlängerung für den Schrott-Reaktor Biblis A mit dem Dino ausgezeichnet worden ist.

„Die RWE-Spitze hat nichts dazu gelernt. Aus reinem Machtkalkül und Profitstreben wird an einer Risikotechnologie festgehalten und gleichzeitig der notwendige Aus- und Umbau einer umweltfreundlichen Energieversorgung in Deutschland ausgebremst“, so Tschimpke. Das Kerngeschäft von RWE sei die Energieerzeugung mit Risiko- und klimaschädlicher Technologie: Atomkraft und Kohle.

Der Anteil von Strom aus erneuerbaren Energien in der RWE-Angebotspalette liegt bei gerade einmal drei Prozent, wobei ein Großteil von alten Wasserkraftanlagen bereitgestellt wird. Vor allem profitiert der Konzern von der von Schwarz-Gelb beschlossenen Laufzeitverlängerung für Atommeiler. Nach Berechnungen des Öko-Instituts kann RWE durch das beschlossene Laufzeitplus von im Schnitt zwölf Jahren mit Zusatzgewinnen von über 17 Milliarden Euro rechnen - und das selbst nach Abzug von Zahlungen wie der Brennelementesteuer.

Doch damit nicht genug: Kurz vor der Einführung der Steuer auf Kernbrennstoffe zur Abschöpfung der Zusatzgewinne aus den längeren Laufzeiten hat der Konzern gleich über 90 Brennelemente im hessischen Atomkraftwerk Biblis B ausgetauscht, um Steuerzahlungen in Millionenhöhe zu sparen. Tschimpke: „RWE war der erste Konzern, der die bei der Laufzeitverlängerung ausgehandelte Brennelementesteuer gleich wieder ausgehebelt hat. Hier wird getrickst und getäuscht: Herr Großmann und RWE haben jede Glaubwürdigkeit verspielt.“Allein in den vergangenen drei Jahrzehnten sind in Biblis A und B über 730 meldepflichtige Störfälle aufgetreten.

Auch in punkto Klimaschutz hat das Essener Energieunternehmen so gut wie nichts zu bieten. „Der deutsche Konzern ist mit 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Ausstoß pro Jahr in Europa der größte Produzent schädlicher Treibhausgase“, so der NABU-Präsident.

Mit dem „Dinosaurier des Jahres“, der aus Zinn gegossenen und 2,6 Kilogramm schweren Nachbildung einer Riesenechse, zeichnet der NABU seit 1993 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus, die sich sowohl durch herausragende Einzelleistungen als auch durch die Summe ihres Gesamtwerkes in Sachen Umweltschutz negativ hervorgetan haben. Weitere prominente Dino-Preisträger sind u.a. der frühere Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Gerhard Sonnleitner, Air Berlin-Chef Joachim Hunold, Ex-Bundeswirtschaftsminister Michael Glos und der Präsident des Münchener ifo Instituts für Wirtschaft sforschung, Hans-Werner Sinn, der die Trophäe im vergangenen Jahr erhielt.




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