Aktuell


Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes

NABU: Dem Artenschutz in Deutschland droht erhebliche Verschlechterung

Tschimpke: Geplante Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes ohne Not und im Widerspruch zu EU-Recht

NABU Pressemitteilung, 19.12.16

Berlin – Der NABU kritisiert die geplante Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes. Nach Ansicht der Naturschützer droht damit eine empfindliche Aufweichung der geltenden Schutzbestimmungen und des Artenschutzes insgesamt. Ein Schritt, der nach Auffassung des NABU vollkommen ohne Not geschieht. Zudem widersprechen entscheidende Passagen der Novelle geltendem EU-Recht. „Wir sehen absolut keine Notwendigkeit für die geplanten Änderungen. Wir fordern den Gesetzgeber auf, die Novelle so nicht zu verabschieden“, sagte NABU-Präsident Olaf Tschimpke.

Mit der Neufassung will das zuständige Bundesumweltministerium eigentlich die Naturschutzrichtlinien der EU in Deutschland besser umsetzen. Ein Ziel, das der NABU begrüßt und unterstützt. Doch dem Anspruch, praktikable Lösungen für den Naturschutz zu finden, wird die Novelle nicht gerecht. Zwar bietet sie Verbesserungen für den Meeres- und Biotopschutz. Doch beim Schutz von Arten drohen erhebliche Verschlechterungen.

Ein zentraler Kritikpunkt der Naturschützer: Die Novelle führt, insbesondere im Bereich Artenschutz, neue Begrifflichkeiten ein, die auf EU-Ebene nicht verankert sind. Dazu zählt unter anderem das geplante „Signifikanzkriterium“. Demnach müsste künftig, beispielsweise beim Bau von Windkraftanlagen oder Straßen, nicht mehr zwangsläufig überprüft werden, ob diese Bauten geschützte Arten beeinträchtigen. Stattdessen könnte eine „hinnehmbare Menge getöteter Tiere“ bestimmt werden – nach Ansicht des NABU absolut keine akzeptable Option für funktionierenden Artenschutz. Zudem wären aufgrund der unbestimmten Regelungstechnik Rechtsstreitigkeiten künftig vorprogrammiert.

Kritik übt der NABU auch am Vorgehen des Bundesumweltministeriums bei der Abstimmung der Novelle. Trotz der weitreichenden Auswirkungen im Artenschutzrecht wurden die Natur- und Umweltschutzverbände nicht frühzeitig beteiligt. Stattdessen wurde den Verbänden eine unangemessen kurze Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen gewährt. Dies liegt deutlich unter den Empfehlungen für eine gute Gesetzgebung.

Zu den möglichen Auswirkungen der Novelle im Detail:
  • Artenschutz: Hier sollen neue, unbestimmte Rechtsbegriffe eingeführt werden. Damit würde das sorgfältige Prüfen möglicher Folgen von Eingriffen in die Natur weniger verlässlich, dem Artenschutz droht insgesamt eine Aufweichung.
  • Biotopschutz: Hier wird eine Gesetzespassage konkretisiert zum Schutz von Tieren während der Brutzeit. Bisher war es nicht erlaubt, Hecken und Sträucher zurückzuschneiden oder auf den Stock zu setzen. Einem aktuellen Gerichtsurteil zufolge fiel ein komplettes Entfernen von Hecken oder Sträuchern jedoch nicht darunter. Dies soll nun geändert werden. Außerdem werden jetzt auch Höhlen und Stollen in die Liste der gesetzlich geschützten Biotope aufgenommen.
  • Biotopverbund: Hier wird ein Zieljahr genannt bis zu dem die Länder den Biotopverbund auf zehn Prozent ihrer Landesfläche umsetzen müssen. Aufgrund fehlender Sanktionsmöglichkeiten des Bundes hat dies jedoch rein deklaratorischen Charakter.
  • Meeresschutz: Hier nimmt die Novelle sinnvolle Verweise auf die Ziele der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie auf. Dabei fehlen jedoch präzisere Regelungen, zum Beispiel zur Frage der Kompensation von Eingriffen im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ). Die geplante Privilegierung von Windkraftanlagen gegenüber anderen Eingriffsvorhaben lehnt der NABU ab.
  • Was komplett fehlt: Der Gesetzgeber lässt die Chance ungenutzt, mithilfe der Novelle auch anderen Handlungsbedarf im Naturschutzrecht „abzuräumen“. So fehlt die dringend notwendige Konkretisierung der „guten fachlichen Praxis“ in Land- und Forstwirtschaft. Auch der Schutz von Vögeln an Freileitungen wurde nicht an den aktuellen Stand der Technik angepasst.



EU-Naturschutzgesetze: Kommission veröffentlicht Evaluation

DNR Pressemitteilung, 19.12.16

Nach fünf Kriterien hat die EU-Kommission die Vogelschutz- und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie evaluiert. Die Ergebnisse der Bewertung liegen seit 16. Dezember nun auch schriftlich vor. Demnach sind die Gesetze für den Biodiversitätsschutz "zweckdienlich" und "von großer Bedeutung".

Die vollständige Verwirklichung der Ziele der Naturschutzgesetze hänge jedoch von einer wesentlichen Verbesserung ihrer Umsetzung in den Mitgliedstaaten ab. Um praktische Ergebnisse im Naturschutz zu liefern, müssten lokale Behörden und andere Akteure in den EU-Ländern besser zusammenarbeiten.

Die EU-Kommission hat die Richtlinien im Naturschutz auf ihre Wirksamkeit, Effizienz, Kohärenz und Relevanz sowie ihren EU-Mehrwert für die Mitgliedstaaten analysiert.

Wirksamkeit: Die allgemeinen Ziele der Richtlinien sind bisher nicht ausreichend erfüllt und es ist auch unklar, wann dies der Fall sein wird, schreibt die EU-Kommission. Es sei aber klar, dass der Zustand zahlreicher Vogelarten, anderer Spezies und bestimmter Habitate ohne die EU-Vorschriften wesentlich schlechter wäre. Der Zustand verbessere sich überall dort, wo spezifische Maßnahmen in ausreichendem Maße ergriffen würden. Während das auf dem Land befindliche Natura-2000-Netz größtenteils etabliert sei, klafften beim Meeresumweltschutz noch Lücken. Die EU-Gesetze seien zwar ein Katalysator für den Schutz der Natur, doch Finanzierung, Wissenlücken, Interessengruppenbeteiligung, Managementmaßnahmen, Politikintegration und Ressourcen seien nach wie vor große Herausforderungen.

Effizienz: Die Evaluation der Kosten habe ergeben, dass diese vernünftig und angemessen im Vergleich zu den Vorteilen sind. Das Natura-2000-Netz koste die gesamte EU etwa 5,8 Milliarden Euro pro Jahr. Die vielfältigen Vorteile für die Gesellschaft werden aber auf 200-300 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Zwischen 2007 und 2013 habe die EU allerdings nur etwa 9-19 Prozent des geschätzten Finanzierungsbedarfs beigesteuert und die nationale Restfinanzierung habe nicht ausgereicht. Für 2014-2020 seien die Prioritäten etwas anders gesetzt worden, mit dem Ziel, den Finanzierungsbedarf für das Naturschutzgebietsnetzwerk besser zu definieren und die Integration voranzutreiben.

Relevanz: Die Analyse habe ergeben, dass die Richtlinien weiter relevant sind, um den Druck auf Arten und Habitate in den Schlüsselbereichen herabzusetzen. Die Gesetze beschreiben, was erreicht werden soll, überlassen es aber den Mitgliedstaaten, die spezifischen Bedrohungen in ihren Ländern zu identifizieren und entsprechend zu begegnen. Die Anhänge seien im Laufe der Zeit immer mehr erweitert worden auf inzwischen über 1.200 Arten und Unterarten sowie 231 Habitattypen. Dies seien zwar nicht alle taxonomischen Gruppen, jedoch habe Natura 2000 einen übergeordneten Schutzeffekt auch auf nicht gelistete Arten und Habitate.

Kohärenz: Die untersuchten Richtlinien samt Anhängen seien miteinander kohärent, für die Implementierung bestehe aber ein kontinuierlicher Verbesserungsbedarf, die gefundenen Lösungen für die Schutzziele mit den sozio-ökonomischen Zusammenhängen und den betroffenen Interessengruppen abzustimmen. Andere den Naturschutz betreffende EU-Gesetze gingen in die gleiche Richtung, wobei die Erfahrung zeige, dass eine bessere Koordinierung nötig und nützlich sei. Hierbei geht es beispielsweise um die EU-Biodiversitätsstrategie 2020 oder weltweite Konventionen, denen die EU beigetreten ist. Andere sektorale EU-Politikfelder wie die Landwirtschaft hätten teilweise konkurrierende Ziele, deshalb müssten die Naturschutzziele besser in die Gemeinsame Agrarpolitik integriert werden. Auch Fischerei-, Kohäsions-, Energie- und Verkehrspolitik könnten sowohl positive als auch negative Einflüsse auf Arten und Habitate haben, je nach Ausrichtung.

EU-Mehrwert für die Mitgliedstaaten: Es gebe eine breite Anerkennung der Tatsache, dass die Richtlinien eine stärkere und einheitlichere Basis für den Naturschutz innerhalb der EU gelegt haben, als dies vor ihrer Annahme der Fall war. Insofern blieben die Notwendigkeiten und Begründungen für eine Regelung auf europäischer statt auf rein nationaler Ebene weiter bestehen - auch mit Blick auf die vielfältigen Ökosystemdienstleistungen für die Gesellschaft. Naturschutz müsse über politische Grenzen hinaus geschehen. Die Ziele der Richtlinien seien weiter aktuell, es bedarf aber größeren Anstrengungen, sie auch zu erreichen und damit ihre Effektivität und Effizienz zu steigern.




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