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Zukunft sibirischer Lärchenwälder

Sibirische Lärchenwälder sind noch auf Eiszeit gepolt

Neue AWI-Studie zeigt, dass die Pflanzenwelt der nordrussischen Permafrostregion dem Klima schon häufig um mehrere Jahrtausende hinterherhinkte

Alfred Wegener Institut Pressemitteilung, 24.6.16

Die sibirischen Permafrostregionen gehören zu jenen Gebieten der Erde, die sich im Zuge des Klimawandels besonders schnell erwärmen. Dennoch beobachten Biologen derzeit nur ein minimales Anpassungsverhalten der Baumvegetation. Dort, wo gemessen an der Lufttemperatur längst Kiefern- und Fichtenwälder wachsen müssten, gedeihen noch immer sibirische Lärchen. Ein Paradox, dessen Ursache Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes, der Universität Köln und internationaler Partnerinstitute nun mithilfe Millionen Jahre alter Blütenpollen auf die Spur gekommen sind. Den Ergebnissen zufolge gab in der Vergangenheit stets der Kältegrad einer Eiszeit den Ausschlag dafür, wie schnell sich im Anschluss die Vegetation an das Warmzeitenklima anpasste. In unserem Fall heißt das: Weil die letzte Eiszeit ausgesprochen kalt war, hinkt die Vegetation der Taiga dem Klima viele Jahrtausende hinterher. Ein überraschend langer Zeitraum, wie die Forscher im Open Access-Fachmagazin Nature Communications berichten.

Die Potsdamer Wissenschaftlerin Ulrike Herzschuh kennt die sibirischen Lärchenwälder fast so gut wie den Park auf dem heimatlichen Telegrafenberg. Nahezu jeden Sommer verbringt die Permafrost-Expertin vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in den endlosen Wäldern Sibiriens, sammelt Pflanzenproben, bestimmt Wachstumsgrenzen und zieht Bohrkerne aus Seen. „Gemessen an der Temperaturerhöhung im letzten Jahrhundert müssten Lärchenwälder die Tundra im Norden Sibiriens verdrängt haben und Kiefern und Fichten von Süden her eingewandert sein. Doch bisher zeigen Untersuchungen nur sehr kleine Veränderungen der Vegetation – und wir haben uns gefragt, woran das liegt“, erzählt die AWI-Wissenschaftlerin.

Bei der Suche nach der Ursache reisten Ulrike Herzschuh und ihr internationales Forscherteam 2,1 bis 3,5 Millionen Jahre in der Zeit zurück – in die Erdzeitalter des Pliozäns und des Pleistozäns. Die Wissenschaftler untersuchten Blütenpollen, die sie entsprechend alten Sedimentproben aus dem El’gygytgyn-See (Region Chukotka, im Fernen Osten Russlands) entnommen hatten. Diese Vegetationsspuren glichen die Wissenschaftler mit rekonstruierten Klimawerten für jene zu dieser Zeit stattfindenden Warm- und Kaltzeiten ab.

Die statistischen Analysen der Pollendaten ergab ein deutliches Muster. Ulrike Herzschuh: „Unser Datenabgleich zeigt, dass die Vegetation in der Vergangenheit bei einem Wechsel von einer Kalt- zu einer Warmzeit bis zu mehrere tausend Jahre brauchte, um sich an Klimaveränderungen anzupassen. Das ist wirklich neu. Bisher gingen wir Klimaforscher nur von einer Verzögerung von mehreren Jahrzehnten oder Jahrhunderten aus – nicht von Jahrtausenden.“

Der Blick in die Vergangenheit zeigt: Je kälter die vorangegangene Eiszeit war, desto länger brauchte die Pflanzenwelt im Anschluss, um sich in ihrer Zusammensetzung an das Klima der Warmzeit anzupassen. „In Analogie zu diesen Ergebnissen bedeutet dies: Eben weil die jüngste Eiszeit vor 20.000 Jahren ausgesprochen kalt war, hat sich Permafrost großräumig ausgebreitet, und tiefwurzelnde Bäume wie Kiefern und Fichten weit nach Süden verdrängt. Die flachwurzelnden sibirischen Lärchen, denen eine sommerliche Bodenauftauschicht von 20 bis 30 Zentimeter genügt, konnten hingegen in der Region in geschützten Lagen überdauern“, erläutert Ulrike Herzschuh.

Der Lärchenwald mit seinem flachen, dichten Wurzelteppich wiederum schützt das Eis im Untergrund. „Wir konnten schon oft beobachten, dass in Regionen, in denen der Lärchenwald abgeholzt wurde, der Permafrost deutlich schneller taute als in bewaldeten Gebieten“, so die AWI-Wissenschaftlerin.

Die isolierende Wirkung des Lärchenwaldes könnte demzufolge einer der Gründe sein, warum es in der Vergangenheit stets mehrere Jahrtausende gedauert hat, bis nach einer besonders kalten Eiszeit der Permafrost verschwunden war und Kiefern und Fichten die Lärchen verdrängt hatten.

Die neuen Erkenntnisse über die zeitverzögerte Anpassung der Vegetation stellen die Wissenschaftsgemeinde nun vor eine große Herausforderung: „Im Zuge der anhaltenden Erwärmung der Arktis werden langsam Kiefern und Fichten in die sibirische Taiga einwandern. Das bedeutet, dass die Wälder dichter und damit auch dunkler werden, weshalb sie mehr Wärmestrahlung speichern werden als bisher. Dieser Umstand wiederum bedingt, dass die Temperatur in Sibirien noch bis in ferne Zukunft ansteigen wird, selbst wenn es uns Menschen gelingen sollte, den Kohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre schon in naher Zukunft zu stabilisieren“, sagt Ulrike Herzschuh. Der Einbau dieser langfristigen Vegetationsprozesse in Klimamodelle sei daher dringend notwendig.

Ulrike Herzschuh stellt ihre Studie auf der vom AWI organisierten 11. Internationalen Permafrost-Konferenz (ICOP) vom 20.-24. Juni 2016 in Potsdam vor. Mehr Informationen zu dieser nur alle vier Jahre stattfindenden Fachtagung der Permafrost-Forschergemeinschaft finden Sie unter www.icop2016.org.




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