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Aktuell
Aktionsprogramm Insektenschutz
Schulze: "Wir können das Insektensterben stoppen"
Bundeskabinett beschließt umfangreiches Aktionsprogramm für den Insektenschutz
BMU Pressemitteilung, 4.9.19
Das Bundeskabinett hat heute auf Vorschlag von Bundesumweltministerin Svenja Schulze das "Aktionsprogramm Insektenschutz" beschlossen. Es handelt sich um das bisher umfangreichste Maßnahmenpaket der Bundesregierung zum Schutz von Insekten und ihrer Artenvielfalt. Mit konkreten Maßnahmen in neun Handlungsbereichen adressiert das Programm alle wesentlichen Ursachen des Insektensterbens, unter anderem mit deutlich strengeren Regeln zum Einsatz von Pestiziden. Der Bund stellt künftig jährlich 100 Millionen Euro mehr für den Insektenschutz und die Insektenforschung zur Verfügung.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze: "Eine Welt ohne Insekten ist nicht lebenswert, wir Menschen sind auf die Leistungen der Insekten dringend angewiesen. Das Insektensterben ist dramatisch und es hat viele Ursachen. Aber mit den richtigen Maßnahmen in vielen Bereichen ist die Trendumkehr zu schaffen. Wir können das Insektensterben stoppen. Mit dem Aktionsprogramm liegt nun ein Maßnahmenpaket vor, das genau festlegt, was die Bundesregierung konkret unternehmen wird, um den Abwärtstrend bei den Insekten und ihrer Artenvielfalt aufzuhalten. Ich bin besonders froh, dass es uns gelungen ist, Insekten künftig auch in der Agrarlandschaft besser zu schützen: Die Bundesregierung verbietet den Glyphosateinsatz zum europarechtlich frühestmöglichen Zeitpunkt im Jahr 2023 und wird den Einsatz schon vorher deutlich einschränken. Mindestens genauso wichtig für die Insekten ist, dass auch der Einsatz von allen anderen Pestiziden deutlich verringert wird. Alles, was Insekten hilft, wollen wir fördern und alles, was ihnen schadet, werden wir vermeiden."
Neben strengeren Regeln wird auch die Finanzierung des Insektenschutzes stark verbessert: Der Bund wird pro Jahr 100 Millionen Euro zusätzlich für die Förderung von Insektenschutzmaßnahmen innerhalb und außerhalb der Agrarlandschaft sowie für Insektenforschung bereitstellen. Dazu gehören Mittel in Höhe von 50 Millionen Euro pro Jahr für einen Sonderrahmenplan für den Insektenschutz im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der Agrarstruktur- und des Küstenschutzes" (GAK). Dazu kommen 25 Millionen Euro Bundesmittel für konkrete Insektenschutzprojekte auch außerhalb der Agrarlandschaft sowie weitere 25 Millionen Euro pro Jahr für die Insektenforschung und den Aufbau eines bundesweiten Insektenmonitorings.
Zudem werden Schutzgebiete gestärkt und für Insekten besonders wichtige Lebensräume besser geschützt: der gesetzliche Schutz wird auf die Biotope "Artenreiches Grünland" und "Streuobstwiesen" erweitert und in einem Großteil der Schutzgebiete wird es ein vollständiges Verbot geben für den Einsatz von Herbiziden und biodiversitätsschädigenden Insektiziden. Auch wird bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln der Mindestabstand zu Gewässern auf zehn Meter festgelegt, beziehungsweise auf fünf Meter dort, wo die Abstandsfläche dauerhaft begrünt ist.
Diese Regelungen werden noch in dieser Legislaturperiode durch ein Insektenschutzgesetz und parallele Rechtsverordnungen verbindlich vorgegeben, mit Änderungen im Naturschutzrecht, Pflanzenschutzrecht, Düngerecht sowie im Wasserrecht.
Weitere Maßnahmen des Aktionsprogramms widmen sich dem Schutz und der Wiederherstellung von Insektenlebensräumen vom Land bis zur Stadt; der Eindämmung der Lichtverschmutzung, der Reduzierung von Nähr- und Schadstoffeinträgen in Insektenlebensräume sowie der Unterstützung des Engagements für Insekten in der gesamten Gesellschaft.
Rettungsschirm für Insekten
WWF begrüßt „Aktionsprogramm Insektenschutz“ und fordert zügige Umsetzung
Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat im Kabinett das Aktionsprogramm Insektenschutz vorgestellt. Der WWF sieht darin einen großen Schritt im Kampf gegen den Insektenschwund - auch wenn der Weg zu dessen Umsetzung ein langer bleibt. Dazu Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz vom WWF Deutschland:
„Seit Jahren sind die primären Treiber des massiven Artensterbens in den Sektoren Landwirtschaft und Verkehr bekannt: Lebensraumzerstörung, Nährstoff- und Pestizidbelastung, sowie nächtliche Lichtverschmutzung. Daher ist es überfällig, die zahlreichen Gegenmaßnahmen in einem Insektenschutz-Gesetz zu bündeln und so auch langfristig mit gutem Beispiel für die Bundesländer voranzugehen. Das Aktionsprogramm beweist den Willen, den radikalen Schwund von Insekten zu stoppen und erfüllt damit auch einen wichtigen Punkt aus dem Koalitionsvertrag.
Im engen Schulterschluss mit den Bundesländern müssen nun übergreifende Aktionspläne entwickelt werden, um die zuständigen Naturschutzbehörden beim Insektenschutz in die Pflicht zu nehmen. Darüber hinaus muss der Insektenschutz jetzt in der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) verankert werden.
Strengere Richtlinien für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Nationalparken und anderen Schutzgebieten sind überfällig. Hier ist in erster Linie das zeitnahe Verbot von Totalherbiziden wie Glyphosat anzuführen. Durch ein solches Verbot können landwirtschaftliche Nutzflächen insektenfreundlicher gestaltet werden - sofern sie nicht wieder Ausnahmeregelungen erfahren. Durch die Förderung von Strukturvielfalt in der Landwirtschaft können zudem wieder vielfältige Lebensräume und Verbindungskorridore wie (Streuobst-)Wiesen geschaffen werden. Außerdem ist das Bundeslandwirtschaftsministerium gefordert, in der angekündigten Ackerbaustrategie den Insektenschutz zu berücksichtigen und unsere Felder wieder lebendiger werden zu lassen.
Insektenschutz ist eine Zukunftsaufgabe und nicht zum Nulltarif zu haben. Der WWF begrüßt daher die Bereitstellung von Finanzmitteln in Höhe von 100 Millionen Euro. Dies ist ein guter Start für den nationalen Insektenschutz, der sich auch in der Personalausstattung niederschlagen sollte. Es ist allerdings wenig zielführend, wenn bereits bestehende Förderprogramme zu Gunsten des Aktionsprogramms Insektenschutz gekürzt werden.“
BUND kritisiert: Unkonkret, unambitioniert und unzureichend
Aktionsprogramm Insektenschutz wird Herausforderung nicht gerecht
BUND Pressemitteilung, 4.9.19
Berlin. Das Insektensterben hat dramatische Ausmaße angenommen. Die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung, ein Aktionsprogramm Insektenschutz zu verabschieden, hat lange auf sich warten lassen. Mehr als ein Jahr haben die Ministerien über die vom Bundesumweltministerium vorgelegten Maßnahmenvorschläge verhandelt. Das Ergebnis ist enttäuschend.
"Unkonkret, unambitioniert und unzureichend", kritisiert Olaf Bandt, Geschäftsführer für Politik und Kommunikation beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), den heutigen Kabinettsbeschluss zum Insektenschutz. "Das nun vorgelegte Aktionsprogramm reicht nicht aus, um eine Trendumkehr beim Insektenschutz einzuleiten und die weitere Ausrottung zu verhindern. Trotz monatelanger Verhandlungen hat es die Bundesregierung nicht geschafft, verbindliche Entscheidungen zu treffen. Weder im Bereich der Agrarpolitik, beim zügigen Glyphosat-Ausstieg oder bei der Einschränkung der Pestizidzulassung hat die Regierung geliefert." Aus Sicht des BUND ist das gesamte Programm bei der Ausgestaltung der Maßnahmen, der Zielsetzung und Zeitvorgaben, wie beim finanziellen Rahmen zu unkonkret.
Positiv ist zu bewerten, dass sich die Bundesregierung grundsätzlich zu mehr Strukturvielfalt und Insektenlebensräume in der Agrarlandschaft bekennt. Doch auch hier verzichtet der Aktionsplan darauf, konkrete Maßnahmen zu benennen oder zeitliche und finanzielle Rahmensetzungen aufzuzeigen. "Konsequenter Artenschutz geht anders", so Bandt weiter. Dass der im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz zugesagte Sonderrahmenplan Insektenschutz mit insgesamt 50 Millionen Euro ausgestattet werden soll, sei da schon ein Fortschritt.
"Bei einigen Punkten konnte Umweltministerin Schulze Landwirtschaftsministerin Klöckner Zugeständnisse abringen", erläutert der BUND-Geschäftsführer. Ab 2021 sollen Herbizide und biodiversitätsschädigende Insektizide in Schutzgebieten verboten und verbindliche Mindestabstände zu Gewässern von fünf Metern bei dauerhafter Begrünung oder zehn Meter ohne diese eingeführt werden. „Ein Verbot von Pestiziden in Schutzgebieten war eine unserer zentralen Forderungen. Wir sind erleichtert, dass dieser notwendige Schritt zum Schutz der Insekten auch Dank der fast 190.000 Unterstützerinnen und Unterstützer unserer Kampagne nun umgesetzt wird. Von den Regierungsfraktionen erwarten wir, diese Vereinbarungen im anstehenden Gesetzgebungsverfahren nicht wieder abzuschwächen.“
Bei dem Ackergift Glyphosat hat die Bundesregierung es verpasst, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Der Ausstieg ist erst für 2023, mit Auslaufen der aktuellen EU-Zulassung, angekündigt. "Das ist viel zu spät und ein Rückschlag für den Insektenschutz", kommentiert Bandt. "Und dass einzelne Anwendungen beispielsweise in Haus- und Kleingärten bereits vorher verboten werden, ist ein Teilerfolg, zeigt aber wieder einmal, dass die Agrarindustrie geschont wird."
NABU: Neues Insektenschutzprogramm ist wichtiger Schritt in richtige Richtung
Miller: Maßnahmen schnell umsetzen, damit Programm zum Erfolg wird
NABU Pressemitteilung, 4.9.19
Berlin Der NABU begrüßt das Aktionsprogramm Insektenschutz der Bundesregierung, das heute vom Kabinett beschlossen werden soll. Erstmals gibt es damit in Deutschland ein spezielles Programm zum Schutz einer Gruppe von Lebewesen.
„Die Bundesregierung hat die Systemrelevanz der Insekten erkannt. Die Leistungen von Wildbienen und Co. als Bestäuber und im Nahrungsnetz können wir gar nicht hoch genug einschätzen. Doch durch Lebensraumverlust, hohen Pestizideinsatz und Überdüngung verschwinden Insekten in rasantem Tempo. Ein bundesweites Aktionsprogramm zu ihrem Schutz ist entscheidend aber es darf kein Papiertiger werden. Ein Erfolg wird es erst dann, wenn die Bundesregierung jetzt alle Maßnahmen schnell und ohne Ausnahmen umsetzt“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller.
Positiv bewertet der NABU, dass die Bundesregierung ab sofort 100 Millionen Euro pro Jahr für den Insektenschutz bereitstellt. Finanziert werden sollen damit Forschungsprojekte, die Erfassung der Insektenbestände in Deutschland und Schutzmaßnahmen in Landwirtschaft, Städten, Wäldern und an Gewässern. Neu ist, dass künftig auch Lebensräume aufgrund ihrer Bedeutung für Insekten geschützt werden können. Dazu zählen etwa Säume und Hecken als Übergänge zwischen verschiedenen Zonen, wie Wald und Feld. Zudem soll es erstmals ein Insektenschutzgesetz geben, das Regelungen zu Biotopen, Abständen zu Gewässern, dem Einsatz von Herbiziden und Pestiziden sowie zur Düngung bündeln soll.
Künftig werden auch in zahlreichen Schutzgebieten Herbizide und Insektizide verboten sein, in denen ihr Einsatz bislang erlaubt war dies kann für bis zu 20 Prozent der deutschen Landesfläche gelten. Auch bei seinen eigenen Institutionen möchte der Bund künftig auf Insektengifte verzichten, etwa bei der Bundeswehr, an Bundesfernstraßen und Bahngleisen. „Alle diese Maßnahmen müssen jetzt ohne wenn und aber umgesetzt werden. Die dramatische Situation der Insekten duldet keinen Aufschub“, so Miller.
Der NABU begrüßt auch, dass im kommenden Jahr über 70 Millionen Euro zusätzlich an EU-Agrargeldern in Naturschutzmaßnahmen der Bundesländer umgeleitet werden können. Dies reicht nach Einschätzung des NABU allerdings nicht aus: Bis zu 15 Prozent der pauschalen Flächensubventionen können auf diese Weise umgewandelt werden, Deutschland nutzt jetzt jedoch statt bislang 4,5 nur sechs Prozent und das zunächst auch nur für 2020. „Dieser Schritt war überfällig. Hierzulande klafft eine riesige Finanzlücke von fast einer Milliarde im Naturschutz, da ist diese Umschichtung viel zu gering. Der entscheidende Hebel für das Überleben der Insekten liegt ohnehin in Brüssel: Die Bundesregierung muss jetzt eine naturverträgliche Agrarreform vorantreiben, die Standards und Anreize für insekten- und klimaschonende Produktion setzt und die umweltschädlichen Flächenprämien beendet“, so Miller.
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