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Aktuell

Kein deutsches Geld für Ecuadors Yasunipark (3)

Öl statt Dschungel

In einem Schreiben der deutschen Botschaft in Quito setzen sich Mitarbeiter für die Ölindustrie ein. Und Minister Dirk Niebel entzieht einem Dschungel-statt-Öl-Projekt die Gelder.

Von Gerhard Dilger, taz, 22.9.10

Warum nur hat Dirk Niebel der linken Regierung Ecuadors einen Korb gegeben? Letzte Woche verkündete der FDP-Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit seine Entscheidung, die sogenannte Yasuní-ITT-Initiative finanziell nicht zu unterstützen. Mit Hilfe von Millionenbeträgen, die vor allem aus Ländern des Nordens kommen sollen, will Ecuador die Basis schaffen, um auf die Ölförderung im extrem artenreichen Teil des Yasuní-Nationalparks im Amazonas-Regenwald, direkt an der Grenze zu Peru, verzichten zu können.

Bislang war die deutsche Bundesregierung zumindest nach außen hin der wichtigste internationale Unterstützer des visionären Projekts, das Präsident Rafael Correa 2007, fünf Monate nach Beginn seiner ersten Amtszeit, zur Regierungspolitik erklärte. Die Ursprünge reichen aber viel weiter zurück - nämlich zu den Debatten zwischen ecuadorianischen Indígenas, UmweltaktivistInnen und Linksintellektuellen in den Neunzigerjahren.

"Nach den jahrzehntelangen Verwüstungen unseres Amazonasgebiets durch ausländische Ölkonzerne und ihre einheimischen Helfershelfer haben wir damals begonnen, über ein Post-Erdöl-Zeitalter nachzudenken", erinnert sich Mitinitiator Alberto Acosta, den Correa im Januar 2007 zu seinem ersten Bergbau- und Energieminister ernannte.

Die neuartige Initiative, die in ihrer radikalsten Lesart mit der marktorientierten Logik des Emissionshandels bricht und damit auch mit den eingespielten Mechanismen des Kioto-Protokolls, kam jedoch langsamer voran als erhofft. Am größten war die Begeisterung bei AktivistInnen und Politikern in Großbritannien und in Deutschland - Initialzündung hierzulande war übrigens eine zweiseitige Titelgeschichte in der taz vom 4. Mai 2007.

Ein gutes Jahr später unterstützte der Bundestag das Dschungel-statt-Öl-Projekt in seltener Einmütigkeit.

Höhepunkt der deutsch-ecuadorianischen Annäherung war im Juni 2009 der Staatsbesuch des damaligen Außenministers Fander Falconí, ebenfalls ein überzeugter Ökolinker. Sein wichtigster Gesprächspartner in Berlin war Erich Stather, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ).

Die Ecuadorianer erklärten höchst offiziell, dass ihnen Stather 50 Millionen Dollar pro Jahr in Aussicht gestellt habe, und zwar über einen Zeitraum von 13 Jahren. Der SPD-Mann bestritt, konkrete Zusagen in dieser Größenordnung gemacht zu haben, zudem hätten die Deutschen keine Alleingänge machen, sondern nur zusammen mit anderen Partnern der Europäischen Union einsteigen wollen.

Sie habe die Yasuní-Initiative "immer außerordentlich unterstützt", sagte die damalige BMZ-Chefin Heidemarie Wieczorek-Zeul" jetzt der taz, "diese Initiative ist doch beispielhaft in ihrem Verzicht auf die Ölförderung und dem Ziel, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten".

Doch schon damals versuchte die Öllobby kräftig, Ecuadors Vorzeigeprojekt zu torpedieren. Auf offene Ohren stießen sie in der deutschen Botschaft in Quito. Der bislang klarste Beleg dafür ist das der taz vorliegende Dokument, das eilfertige Diplomaten am 9. Februar 2009 als "Fernschreiben (verschlüsselt)" nach Berlin schickten.

In dem "DB" (Drahtbericht) erörtern sie "Vor- und Nachteile der Ölförderung" im Yasuní-Nationalpark am Beispiel des spanischen Ölmultis Repsol, der im Jahr 2000 die Konzession über den Block 16 zugesprochen bekam, ein 3.000-Quadratkilometer-Areal mitten im Regenwald. Dafür wurden sogar die Grenzen des Yasuní-Parks nach Osten verschoben.

Anders als der "mangels ausreichenden Personals schwache" ecuadorianische Staat, der "auch mit umfassender, gerade in der betreffenden Region endemischer Korruption zu kämpfen" habe, setzten die Spanier "den Schutz des betreffenden Gebiets auch durch", heißt es anerkennend, und zwar angeblich mit Billigung der Huaorani-Indígenas, "deren Territorium wohl nur so (...) geschützt werden" könne.

Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Die Huaorani-Aktivistin Manuela Ima schilderte im letzen Jahr der taz die "andere Seite": "Seit den Sechzigerjahren sind die Multis dabei, unsere Kultur zu zerstören", sagte die Vorsitzende des Huaorani-Frauenverbands.

"Bei der Ausbeutung der Ölreserven geht Repsol ebenso vor- wie umsichtig zu Werke", loben hingegen die deutschen Diplomaten nach einer zweitägigen, vom Petromulti organisierten Stippvisite. Aus ihrer Sicht stellen nicht die ausländischen, hochmodernen Ölkonzerne, sondern die Indígenas die Bedrohung des Nationalparks dar.

"Da die Huaorani Halbnomaden sind, also den Park auch durch Rodungen belasten, wird irgendwann der Punkt erreicht werden, an dem die Regenerationszeit für die Flora zum Engpassfaktor für das ökologische Gleichgewicht werden wird", sagen sie voraus. "Dann wird eine Güterabwägung zu treffen sein zwischen dem Schutz des Waldes und dem Schutz der Lebensweise einer ethnischen Gruppe." Repsols Vorgehen zeige, "dass es möglich ist, das Öl in einer Weise zu fördern, welche den Park nicht auf Dauer in seiner Substanz angreift und den jetzt dort lebenden Huaorani langfristig die Lebensgrundlage erhält".

Und sie schließen mit der "überraschenden (!) Überlegung, dass es de facto im Sinne des Schutzes von Park und dessen Ureinwohnern zumindest auf mittlere Sicht sinnvoller sein kann, eine Ausbeutung der Ölvorkommen im Park (...) zu ermöglichen."

Der Yasuní-Fan und FDP-Bundestagsabgeordnete Harald Leibrecht hat die Hoffnung auf eine erneute Kehrtwende seines Parteifreunds Dirk Niebel noch nicht aufgegeben. Ebenso wenig die ecuadorianische Regierung: "Wir müssen sehen, was in den nächsten Tagen passiert", meinte Vizeaußenminister Kintto Lucas am Dienstag.


Das Yasuní-ITT-Projekt

Das Projekt: Im östlichen Teil des Yasuní-Nationalparks, dem Ishpingo-Tambococha-Tiputini-Gebiet (ITT), lagern 850 Millionen Barrel (à 159 Liter) schweres Erdöl. Das entspricht 20 Prozent der Ölreserven Ecuadors oder zehn Tagen des weltweiten Ölverbrauchs. Im Juni 2007 kündigte Präsident Rafael Correa an, Ecuador werde auf die Ölförderung im ITT-Areal verzichten, wenn die "internationale Gemeinschaft" innerhalb von 13 Jahren 3,5 Milliarden Dollar aufbringt - die Hälfte des geschätzten Fördergewinns für Ecuador.

Der Fonds: Anfang August 2010 richtete das UN-Entwicklungsprogramm zusammen mit der Regierung in Quito einen Treuhandfonds ein, aus dem Umwelt- und Sozialprojekte finanziert werden sollen - die Voraussetzung für den Beginn der Einzahlungen. Bis Anfang 2012 sollen 100 Millionen Dollar eingeworben werden. Letzte Woche machte Chile mit einem Beitrag von 100.000 Dollar den Anfang.


Offener Brief des Netzwerks OILWATCH an die Abgeordneten des deutschen Bundestages

OILWATCH, 20. September 2010

OILWATCH ist ein internationales Netzwerk, welches die Auswirkungen der Erdölförderung insbesondere in tropischen Ökosystemen beobachtet und analysiert. Die Analysen belegen immer wieder die desaströsen Folgen der Erölförderung für die lokale Bevölkerung, denn die Ölgewinnung geht mit Militarisierung und Gewalt einher, sie führt zur Verseuchung von Grund- und Trinkwasser und zur Veränderung von Mikro- und globalen Klimaverhältnissen. Die Förderländer werden dabei einem Modell der Abhängigkeit unterworfen, welches schwer zu überwinden ist. In diesem Kontext kann die ecuadorianische Yasuní/ITT-Initiative als ein Akt der Gerechtigkeit gelten, zu welchem auch die internationale Staatengemeinschaft einen Beitrag leisten kann und sollte.

Als im Juni 2008 der deutsche Bundestag beschloss, die Yasuni/ITT-Initiative zu unterstützen, machte sich die historische Möglichkeit auf, klimaschädliches Verhalten und die aktive Entscheidung seiner Vermeidung direkt aufeinander zu beziehen.

Die kürzlich veröffentlichte Nachricht des deutschen Entwicklungshilfeministers Dirk Niebel in seinem Brief an Frau MdB Ute Kozcy löst eine Krise aus, die nichtsdestotrotz als Chance begriffen werden sollte, umfassendere Fragestellungen zu thematisieren: Wie können wir den drohenden Klimawandel abwenden? Welche Verantwortung hat der Norden gegenüber dem Süden bezüglich der Klimakrise? Wie können neue Formen der Ausbeutung vermieden werden? Wie begegnen wir der Steigerung der Ölförderung einerseits und dem Versiegen der Ölreserven andererseits?

Die damalige Entscheidung des deutschen Bundestages führte zu Untersuchungen im Auftrag von Organisationen wie der GTZ. Es ging in diesen Untersuchungen aber nicht um die Beantwortung der oben genannten Fragestellungen, sondern sie beschränkten sich auf Fragen der Durchführbarkeit der Yasuni/ITT-Initiative innerhalb der laufenden Klimaverhandlungen. Damit wurde das wirkliche Potential der Initiative verkannt. Denn mit der Yasuni/ITT-Initiative bietet Ecuador der internationalen Staatengemeinschaft die Möglichkeit, den Ausstoß großer Mengen an Treibhausgasen aus fossilen Brennstoffen komplett zu vermeiden. Wir erwarten, dass die internationale Staatengemeinschaft dieses Potential anerkennt und die Umsetzung der Yasuni/ITT-Initiative unterstützt.

In die internationalen Szenarien zur Klimakrise haben die Verschmutzer, die Banken und die verantwortlichen Konzerne viel Zeit und Geld investiert, um die reale Gefahr der Umweltzerstörung, der Ausbreitung von Krankheiten, der Klimaschwankungen und des Verlustes ganzer Ökosysteme, in eine virtuelle Diskussion über Kohlendioxid-Moleküle und Finanzierungsmodelle zu verwandeln, die kein Laie mehr versteht. Auf diese Weise lenken sie von wichtigen Lösungsansätzen ab und ersetzen sie durch eine Serie von Scheinlösungen, die nicht nur undurchführbar oder absurd sind, sondern oftmals schlicht pervers.

Die Stärke der Yasuni/ITT-Initiative war es bisher, einen konkreten Vorschlag ausserhalb des Emissionshandels, der CDM-Zertifizierung oder des REDD-Programms zu bieten, weil er kein Teil der laufenden Kyoto-Verhandlungen ist. Dieser Vorschlag stellt vielmehr eine neue Idee dar, die mit den internationalen Szenarien bricht und sich durch eine andere Sprache und einen konkreten Ansatz auszeichnet, der klare und effektive Ergebnisse ermöglicht.

Das Bestreben die Yasuni/ITT-Initiative mit REDD zu verknüpfen, trägt nicht zu dessen Erfolg bei. Im Gegenteil, es besteht Anlass zu berechtigten Zweifeln. Denn REDD (bzw. die geplante nationale Version `SocioBosque`) erfüllt weder die Erwartungen der indigenen Organisationen, noch dient es dem Klimaschutz.

Kritikerinnen des REDD zeigen darüber hinaus, dass dieses Programm die kollektiven Rechte der lokalen Gemeinschaften verletzt und den Leitlinien der ecuadorianischen Verfassung widerspricht, welche die Umwelt als neues Rechtssubjekt anerkennt (Artikel 10 und 71) und in diesem Sinne in Artikel 74 festhält: „... Umweltleistungen sind von einer Aneignung ausgeschlossen.“

Man sollte den aktuellen Pragmatismus in der Durchsetzung der Initative nicht mit dem Verzicht auf die grundlegenden Prinzipien derselben erkaufen. Mit der Anpassung der Initiative an die Mechanismen der Klimaverhandlungen, die von verschiedensten Seiten Kritik ernten, und von denen wir wissen, dass sie uneffektiv sind und nur neue Formen der Ausbeutung schaffen, wird eine wichtige Chance im Kampf gegen den Klimawandel verpasst.

Denn die Yasuni/ITT-Initiative ist eine echte Alternative zu den aktuellen Klimaschutzmaßnahmen. Darüberhinaus erlaubt die Initiative, Menschenrechte, Biodiversität und Klimaschutz im Kontext der Ölförderung zu thematisieren, was auch die Stärkung derjenigen Positionen umfasst, die sich gegen die Abholzung und den Verlust von Regenwald durch den Bau der Infrastruktur für die Ölförderung richten. Auch gibt es nun die Chance, neue Tendenzen im Kontext des fortschreitenden Versiegens der Ölreserven und den daraus resultierenden Folgen zu diskutieren, wie die Auswirkungen der Öl- und Gasförderungen in der Tiefsee, oder die Ausbeutung von Schweröl und Ölsanden, so wie die Konsequenzen, die die Ölförderung für die Gebiete der letzten von der Zivilisation unabhängigen indigenen Gemeinschaften hat. Diesen bleibt wegen der ständigen Drohungen oft nur die Flucht aus ihren Gebieten.

Die Folgen der Ölpest im Golf von Mexiko zeigen deutlich die Irrationalität von Ressourcenausbeutung in Risikogebieten, die eine Bedrohung für das Überleben der gesamten Erde darstellen. Die Yasuni/ITT-Initiative darf zweifellos als ein erster Schritt in der Einrichtung von Schutzzonen gelten, in denen keine Ölförderung fortgesetzt oder begonnen werden dürfen, um die natürliche Vielfalt zu schützen und die Rechte der lokalen Bevölkerung zu wahren. Genauso hat die Initative das Potential, den notwendigen Paradigmenwechsel zu erdölfreien Gesellschaften einzuleiten, oder genauer zu Gesellschaften, die in ihrer Produktion auf fossile Energieträger, kohlenstoffhaltige Materialien und auf Öl basierende Bestandteile verzichtet.

OILWATCH stellt dem deutschen Bundestag gerne Informationen über die Auswirkungen der Erdölförderung zur Verfügung, wie z.B. über die verschiedenen Förderungsweisen, die Konsequenzen für die lokale Bevölkerung, die Beziehung zwischen Ölförderung und Klimawandel, um wieder in Erinnerung zu rufen, dass die wahre Bedrohung für Menschenrechte, Biodiversität und Klima von der Erdölförderung selber ausgeht.

Der deutsche Bundestag hat nun die Möglichkeit, sich der Verteidigung der Bevölkerung und der Erde zu verpflichten, indem er sich klar und entschieden für die Yasuni/ITT-Initiative ausspricht.




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