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Aktuell
Öl-Inferno in Sibirien
Das sibirische Öl-Inferno
Von Zhenya Belyakova, Greenpeace-Online, 11.6.13
Tierkadaver, beißender Gestank, immer wieder Brände und überall Ölschlicke: Die Ölindustrie hat die Khanty-Mansi Region in Sibirien in eine Todeszone verwandelt. Zhenya Belyakova, Ölexpertin von Greenpeace Russland, berichtet aus einer Gegend, in der die Ölverschmutzung kein akutes, sondern ein chronisches Problem ist. Für die Arktis lässt ihr Bericht Schlimmes befürchten.
Wir sind in der Nähe einer Stadt namens Pyt'-Yah in Sibiriens Khanty-Mansi-Region unterwegs. Diese Region liegt inmitten der Ölfelder des Ölkonzerns Rosneft. Khanty-Mansi ist Russlands Hauptfördergebiet, Einnahmen aus Öl und Gas machen hier 25 Prozent des Staatshaushaltes aus und sind für eine furchtbare Inflation und absolute wirtschaftliche Abhängigkeit von den Ölmärkten verantwortlich.
Wir stehen in einem Morast aus dickflüssigem schwarzen Ölschlamm, unsere Kleidung werden wir hier sicher nicht sauber behalten. So sieht sie aus, die verborgene Seite des Rohstoffmarktes, verborgen vor den Augen der europäischen Verbraucher und den sorglosen Big Oil-Profiteuren in den russischen Großstädten.
Hier in den Tiefen der sibirischen Wälder brauchen sich die Ölkonzerne nicht um ihr Image zu sorgen. Bei der Einführung von regelmäßigen Kontrollen und Überprüfungen ihrer Aktivitäten hat die Regierung versagt und die meisten kleinen Unfälle ereignen sich unbemerkt. Und im Falle größerer Ölunfälle ist Rosneft an das Zahlen geringfügiger Strafgebühren gewöhnt.
Ölunfälle sind Alltag
Die Ölindustrie in Russland kontaminiert Jahr für Jahr mit 30 Millionen Barrel Öl die Umwelt - das entspricht sieben Ölunfällen in der Größenordnung des Deepwater Horizon-Unglücks. Jedes Jahr ereignen sich 20.000 Unfälle - die Hälfte davon durch Rosneft, was Rosneft zum weltweit größten Ölverschmutzer macht - weit vor Shell, BP, Conoco Philips und Chevron.
Beobachter gehen davon aus, dass sich 97 Prozent der Pipelinebrüche aufgrund von Korrosionen ereignen, die auf Alter und falsche Nutzung der Anlagen zurückzuführen sind. Die meisten Rohre sind über dreißig Jahre alt und waren nie für eine so lange Nutzungsdauer bestimmt. Wir sehen rostende Pipelines auf feuchtem Boden und Schnee liegen - manche liegen sogar direkt in Wasserläufen; wir finden Gruben, die nach Reparaturarbeiten wieder verlassen wurden, vollgelaufen mit Ölschlamm. Tausende Hektar Wald werden langsam durch Kontamination und Brände dahingerafft, in Wasserbasins glänzt der Ölschlick. Einige Ölunfälle ziehen sich über mehrere Kilometer, seit vielen Jahren. Sie entstehen an leckenden Rohren und werden immer größer. Überall liegen Kadaver von Vögeln und kleinen Tieren. Die Bevölkerung berichtet von Elchen, die im Ölsumpf verendet sind. Ein zäher und stickiger chemischer Gestank liegt in der Luft.
Arktis im Visier
Selbst wenn Beobachter die Ölunfälle entdecken, heißt das noch lange nicht, dass diese auch beseitigt werden. Viele Unternehmen tun nur so, als würden sie die Böden sanieren, und lassen das Öl einfach unter Sand und Erde verschwinden. Durch diese jahrelange Praxis ist die natürliche Vegetation größten Teils abgestorben. Bis sich die Natur unter dem rauen subarktischen Bedingungen erholt hat, werden viele Generationen kommen und gehen.
Die Indigenen Bevölkerungen in diesen Gegenden - die Khanty, Mansi und Nenets - sehen sich gezwungen, ihre traditionellen Lebensweisen aufzugeben. Profite aus der Ölproduktion, auf die der russische Staat so stolz ist, sind gleichbedeutend mit weniger Wild in den Wäldern, keinem Fisch in den verschmutzten Flüssen und Straßen und Ölfeldern, wo einst Rentiere weideten.
Diese Umweltkatastrophe ist das Tagesgeschäft des Ölgiganten Rosneft, der jetzt die Arktis ausbeuten will. Anstatt seine leckenden, rostigen Pipelines in Sibirien auszutauschen, investiert der Konzern Milliarden Dollar, um Ölfelder in der Arktis zu erschließen. Durch die starke Unterstützung der Regierung hat Rosneft bereits eine Million Quadratmeter in der Arktis zugewiesen bekommen - doch der Konzern will noch mehr.
Auf internationalen Konferenzen und Führungstreffen redet Rosneft oft von seinen fortschrittlichen Technologien und einer nachhaltigen Entwicklung der Arktis. Doch während unsere Stiefel tief in ausgelaufenem Öl stecken, können wir deutlich sehen, wie weit entfernt diese Erklärungen von der Wahrheit sind.
Helfen Sie uns, die Arktis zu schützen: Unterzeichnen Sie die Greenpeace-Petition gegen Ölbohrungen in der Arktis: http://www.savethearctic.org/
Ölunfälle in Russland: Weckruf für den Schutz der Arktis
Von Benjamin Borgerding, Greenpeace-Online, 4.6.13
Die Republik Komi im Norden Russlands ist erneut von schweren Ölunfällen betroffen. In der Nähe der Stadt Ussinsk läuft seit knapp zwei Wochen Öl in den Fluss Kolva. Weil die Behörden versagen, müssen die Menschen die Aufräumarbeiten selbst in die Hand nehmen. Die Ereignisse etwa fünfzig Kilometer südlich vom Nordpolarkreis zeigen: Die Arktis muss vor dem industriellen Zugriff der Ölkonzerne geschützt werden.
10.000 Rubel - umgerechnet rund 250 Euro - hat der Bürgermeister von Ussinsk für jedes Barrel Öl versprochen, das die Einwohner mit Hilfe von Booten und Schaufeln einsammeln. Den Menschen bleibt nichts anderes übrig, als selbst gegen die allgegenwärtige Kontamination vorzugehen. "Die Leute hier müssen den Gestank von Öl 24 Stunden am Tag einatmen," klagt eine Einwohnerin. Allein am Montag haben die Helfer am Ufer der Kolva mehr als 200 Säcke und 25 Tonnen Ölschlamm zusammengetragen.
Während auf einer Strecke von 100 Kilometern Öllachen die Kolva heruntertreiben und Sandbänke am Ufer in Regenbogenfarben schimmern, sind vom Staat nur drei Arbeiter und ein Boot zu Aufräumarbeiten in die Region geschickt worden. Es herrschen chaotische Zustände. "Weder die Ölunternehmen noch die staatlichen Notfall-Dienste haben die nötige Ausrüstung, um etwas gegen die Ölunfälle zu unternehmen. Den Behörden liegen Notfallpläne nicht einmal vor," beschreibt Vladimir Chuprov von Greenpeace Russland die Situation.
Die Suche nach den Schuldigen
Das regionale Umweltministerium hat Rosvietpetro - ein russisch-vietnamesisches Joint Venture der Ölkonzerne PetroVietnam und Zarubezhneft - für das Unglück verantwortlich gemacht. Doch Rosvietpetro weist die Schuld von sich und weigert sich die vom Bürgermeister versprochene Belohnung pro Barrel an die Einwohner auszuzahlen. Stattdessen behauptet das Unternehmen, Konkurrent Lukoil habe die jüngsten Ölunfälle verursacht.
Seit den ersten Bohrungen in den 1960ern haben sich in der Republik Komi tausende kleinere und größere Ölunfälle ereignet. Ein besonders schweres Unglück nahm nach einem Pipelinebruch im Jahre 1994 seinen Lauf, als 100.000 Tonnen Öl ausliefen. Greenpeace-Ölexperte Jörg Feddern war vor zwei Jahren in der Region: In seinem Reise-Bericht "Wo Russland im Öl versinkt" schildert er eindrücklich seine Erlebnisse (s.u.).
Wenige Kilometer hinter Ussinsk mündet die Kolva in die Petschora. Von dort sind es flussaufwärts noch ca. 1000 Kilometer bis zur Petschorasee, die zum arktischen Ozean gehört. Experten gehen davon aus, dass über russische Flüsse Jahr für Jahr rund 500.000 Tonnen Öl in den arktischen Ozean gespült werden: Um die Arktis zu verschmutzen, muss die Ölindustrie also nicht einmal direkt vor Ort bohren.
Greenpeace setzt sich für den Schutz der Arktis ein
Ussinsk, Alberta, Niger-Delta: Wo die Ölindustrie wütet, sind Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. Wenn Konzerne wie Shell, Gazprom und Rosneft ihre Pläne für Offshore-Bohrungen in der Arktis umsetzen, könnte auch diese Region zu einem weiteren Synonym für industrielle Verheerung werden.
Für einen symbolischen Akt gegen die Zerstörung der Arktis machten sich in diesem Frühjahr Greenpeace-Aktivisten auf den Weg zum Nordpol. Dort angekommen senkten sie durch ein Loch in der Eisdecke eine Kapsel aus Glas und Titan ab. In der Kapsel, die jetzt am nördlichsten Punkt der Erde auf dem Meeresgrund ruht, befinden sich auf Metallscheiben eingraviert die Namen von fast drei Millionen Menschen. Sie alle haben die Greenpeace-Petition zum Schutz der Arktis unterschrieben. Sie alle fordern: Die Arktis darf nicht der Industrie ausgeliefert werden.
Ein Greenpeace-Team ist in diesen Tagen etwa eintausend Kilometer südöstlich von Ussinsk in der Region Khanty-Mansi in Sibirien unterwegs, um die Spuren der Zerstörung zu dokumentieren, die die Ölindustrie auch hier hinterlassen hat. Über ihre Reise werden wir in den kommenden Tagen noch ausführlicher berichten.
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