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Aktuell

Öl in der Taiga

Das Ende der Natur

Von Jon Burgwald, Greenpeace Dänemark, 20.8.12

Jon Burgwald, Greenpeace-Kampaigner von Greenpeace Dänemark, berichtet in einem Gastbeitrag von seinen Eindrücken auf der letztwöchigen Konferenz für Indigene Völker der Arktis.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich in Usinsk bin, hoch im Norden von Russland, daher sollte ich hier eigentlich keine Überraschungen mehr erleben. Doch schon wieder bin ich schockiert. Ich war das erste Mal im Mai hier und habe zusammen mit Kollegen aus dem russischen Greenpeace-Büro die furchtbaren Folgen der alltäglichen Ölunfälle in dieser einst wunderschönen Region dokumentiert und miterlebt.

Ich bin nicht wieder hergekommen, weil ich den Gestank von Öl vermisst hätte, ebensowenig wegen des Anblicks abbrennender Ölfackeln oder der Kopfschmerzen durch die Chemikalien-Belastung; ich bin wieder zurück, weil wir die Möglichkeit haben, hier etwas Gutes zu tun und den indigenen Völkern Russlands zu helfen.

Wir haben Vertreter aus der ganzen russischen Arktis und auch aus Grönland und dem Niger Delta nach Usinsk eingeladen – auf eine Konferenz für die indigenen Völker der Arktis. Wir wollen ihnen zeigen, was hier vor sich geht und – was noch wichtiger ist – wie sie gemeinsam gegen die Zerstörung ihrer Heimat durch 'Big Oil' kämpfen können.

Während der dreitägigen Konferenz hörten wir die Berichte von Rentier-Jägern, deren Leben durch die Ölindustrie für immer auf den Kopf gestellt wurde; wir hörten Alice Ukoku aus Nigeria, wo viele ihrer Landsleute in Folge der zerstörerischen und inhumanen Aktivitäten der Ölindustrie (in diesem Fall: Shell) ums Leben kamen Wir hörten das Zeugnis eines Mannes, dessen Bruder bei den Aufräumarbeiten nach dem großen Ölunfall 1994 starb; wir hörten einen Vertreter des Saami-Parlaments; wir hörten einen Wissenschaftler, dessen Modellberechnungen zu Ölunfallen die desaströsen Folgen zeigen, die ein Ölunfall in arktischen Gewässern für die Strände und das Meer in dieser Region hätte.

Und: Wir hörten einen Lukoil-Vertreter, den Leiter der “Umwelt”-Abteilung des Konzerns. Er nahm uns mit zu einer Besichtigung der Aufräumarbeiten auf einem Ölfeld. Es war der vielleicht erschütterndste Moment, als er uns einlud, die “grüne” Seite von Lukoil kennenzulernen, nachdem er unserem Bus von Ölleck zu Ölleck gefolgt war. Wir erwarteten eine gehörige Dosis Greenwashing, doch stattdessen war der Ort, zu dem er uns brachte, von dem größten Ölunfall, den wir auf der Tour gesehen haben, betroffen: Ein riesiger, schwarzer, schlammiger Ölfleck – Öl, soweit das Auge reicht und von keinerlei Barriere daran gehindert, in die Umwelt ringsum zu sickern. Der Geschmack giftiger Dämpfe liegt mir noch immer auf der Zunge.

Doch das ist nicht der Grund, warum ich überrascht bin. Ich bin überrascht, weil ich mir eingebildet hatte, mental gut vorbereitet zu sein auf das, was wir auf unserer Exkursion in den Schlund des Biestes erleben würden. Doch obwohl ich die Zerstörungen zuvor bereits gesehen hatte, war ich nur schlecht gegen die sinnlichen Eindrücken gerüstet. Wenn man die Ausdünstungen eines so gewaltigen Tümpels kontaminierten Produktionswassers sieht, riecht und schmeckt, gibt das Bewusstsein die Kontrolle an die Sinne ab. Dieser riesige, rostige See mit “Wasser” wird auf den Ölfeldern verwendet, anschließend zurück in ein Becken gepumpt – unterwegs alles Leben abtötend – und gelangt zuletzt in einen Fluss, der einst Lebensgrundlage für die Bewohner der Gegend war.

Die Unmenschlichkeit und unverhohlene Geringschätzung für Umwelt und Menschen haben mich in unerwarteter Weise übermannt – gerade weil ich mich mental gut vorbereitet gefühlt hatte. Wer tut so etwas seinen Landsleuten, seinem Land und seiner Tierwelt an? Das ist für mich so unbegreiflich. Und darauf werde ich wohl nie vorbereitet sein; niemand sollte sich an eine derartige Verdorbenheit und Abscheu für das Leben gewöhnen müssen. Einer der Teilnehmer der Konferenz bemerkte treffend: Das, was wir hier sehen, ist nicht nur eine Umwelt-Katastrophe, es ist das Ende der Natur.




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